Tatort Dresden: Martin Brambach über Corona, Pegida und die sächsische Mentalität

Überarbeitete Polizisten, bedrohte Sanitäter, wütende Bürger: In „Rettung so nah“ serviert die 11. Ausgabe des Dresdner Tatorts überraschend viele Spiegelbilder der Gesellschaft. Dazwischen ein Kommissariatschef, der kaum wiederzuerkennen ist. Was es mit der Wendung auf sich hat, darüber hat Martin Brambach, der Mann hinter der Rolle, mit den DNN gesprochen. Herr Brambach, mit Drehbeginn im März landeten Sie und ihre Kollegen nach wenigen Tagen im ersten Lockdown. Wie beeinflusste Corona die Arbeiten am Set? Wir mussten zweimal unterbrechen, sodass wir am Ende drei Monate anstatt wie üblich einen Monat lang drehten. Das war die längste Tatortproduktion meines Lebens (lacht). Durch die langen Pausen wusste man zum Teil gar nicht mehr, wie man die Szene einst gespielt hatte. Abgesehen davon, gab es strenge Regeln am Set. Wir mussten uns regelmäßig testen lassen, Maske tragen und Abstand halten. Vor der Kamera durften wir die Maske natürlich abnehmen, uns aber dennoch nicht zu nahe kommen. Das Kuriose an der Sache: Das Drehbuch, das in der Zeit vor Corona entstanden war, erzählte von einer Grippewelle in Dresden. Ursprünglich sollte ich meine Kollegen sogar dazu verdonnern, eine Maske zu tragen. „Ich kann genauso misanthropisch sein wie Schnabel“: In der elften Ausgabe des Dresdner Tatorts scheint es, als zeige der grimmige Kommissariatsleiter Peter Schnabel erstmals seinen weichen Kern. Beinahe väterlich sorgt er sich um seine Kolleginnen. Waren Sie froh über diese Wendung? Ich freue mich über jede Wendung in meinen Rollen. Peter Schnabel ist ja seit Beginn an eine interessante Figur, ein Mann, der ein wenig aus der Zeit gefallen scheint, politisch vielleicht nicht ganz links steht und mit Frauen in der Polizei nicht so gut zurechtkommt. Aber er ist keine vorgezeichnete 0815-Figur, sondern hat, wie alle Menschen, verschiedene Facetten. Umso mehr Spaß macht es mir natürlich, diese zu spielen, sowohl das Väterliche als auch das Runterputzen der Kolleginnen. Wie viel Peter Schnabel steckt denn in Martin Brambach? Ich glaube, eine ganze Menge. Ich kann genauso misanthropisch sein wie er, bin aber gleichzeitig sehr harmoniebedürftig und vermittelnd. Ich halte es schwer aus, wenn sich Menschen um mich herum streiten. Noch weniger halte ich es aus, wenn meine Frau mit mir Stress hat. Da kann ich abends nicht ins Bett gehen (lacht). Aber ehrlich gesagt, findet man in jeder Rolle etwas von sich. Auch Dinge, auf die man im ersten Moment nie käme. Egal, wen ich spiele, ich suche immer nach Berührungspunkten, um die Rolle mit eigenen Erfahrungen zu füllen. „Wichtig ist hier die Gesprächsbereitschaft“: Der kommende Dresdner Tatort greift viele aktuelle Problemlagen auf: Wütende Angriffe auf Sanitäter, überarbeitete Polizisten, am Anfang geht es auch um Rassismus. Wie besorgt sind Sie über Wut und Hass in unserer Gesellschaft? Das macht mir schon Angst. Wenn Menschen demonstrieren gehen, sei es bei Pegida oder gegen die Corona-Maßnahmen, dann ist das eine Sache. Da hat jeder das Recht zu. Und ich finde auch, dass man mit diesen Menschen im Gespräch bleiben muss. Aber gefährlich wird es, wenn man nicht mehr miteinander reden kann, weil die Menschen ganz unterschiedliche Informationen über die Welt haben. Dann wird es kompliziert. Und da spielt Social Media mit den vielen widersprüchlichen Informationen eine große Rolle. In der Presse haben wir natürlich auch verschiedene Sichtweisen, aber die haben zumindest die gleiche Basis. Weil man sich über die Fakten einig ist. In den USA sehen wir gerade, wie eine Gesellschaft auseinanderklaffen kann, weil die gemeinsame Basis fehlt. Wenn man nicht mehr miteinander reden kann, kommt es zu Aggressionen und Gewalt. Stichwort Pegida: Wegen der fremdenfeindlichen Bewegung hat Dresdens Ruf in den vergangenen Jahren ordentlich gelitten. Und jetzt auch noch die Maskenverweigerer trotz hoher Inzidenzzahlen. Was haben Sie für ein Bild von der Stadt und den Menschen hier? Die Leute, die ich kenne, fahren wegen der Kultur nach Dresden. Weil es dort eine tolle Oper, viele Theater, Malerei und Architektur gibt. Das macht die Sachsen für mich aus. Sie sind Kulturmenschen, Weintrinker. Das weiß ich, weil ich schon beim Federweißerfest mitgemacht habe (lacht). Die Menschen in Dresden zeichnet eine gewisse Gemütlichkeit und Gelassenheit aus. Und ein großer Humor! Ich finde es schade, dass die Stadt auf Dinge wie Pegida und Querdenken reduziert wird. Maskenverweigerer gibt es auch in Berlin und in Stuttgart, wo die Bewegung sich ja gegründet hat. Und über Pegida muss man differenziert sprechen. Es gibt sicher ganz verschiedene Gründe, warum Menschen dahin gehen. Und ich glaube, die sind oft komplexer, als wir denken. Wichtig ist hier die Gesprächsbereitschaft. Streit hat einen gewissen Unterhaltungswert: Ob Weinliebhaber oder Querdenker – was die Dresdner eint, ist ihr Dialekt. Peter Schnabel spricht eine Mischung aus Berlinerisch und Sächsisch. Wie kam es dazu? „Dit“ Berlinern passiert mir einfach, das Sächseln ist natürlich ein bisschen gewollt. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist mein Sächsisch eher ein Anhaltinisch. Und ich denke, die Dresdner merken das auch, wenn sie den Tatort sehen. Ich bin mit sechs Jahren aus Dresden weggezogen und meine Ferien habe ich bei meinen Verwandten in Halle verbracht. Aber ich höre den Leuten immer zu, wenn ich wieder in der Stadt bin. Sodass ich denke, ich komme dialekttechnisch voran. Abgesehen von den unterschiedlichen Dialekten, verbindet alle Tatort-Teams eine gewisse Streitlust. Man denke nur an Börne und Thiel in Münster oder das Team in Dortmund. Warum stehen die Zuschauer auf dicke Luft beim Ermitteln? Ich weiß gar nicht, ob die Zuschauer darauf stehen oder ob das dramaturgisch gewollt ist. Andererseits wäre es auch unrealistisch, nur von der heilen Welt zu erzählen, von Kommissaren, die tagsüber ermitteln und abends noch ein Bierchen zusammen trinken. Streit dagegen hat einen gewissen Unterhaltungswert. Außerdem lassen sich Themen und Argumente dramaturgisch im Streit viel besser vermitteln, als wenn einer Monologe hält. „Aus dem Alter durchzechter Nächte bin ich raus“: Apropos Bierchen. Wenn Sie für Dreharbeiten nach Dresden zurückkommen und einen freien Tag haben, wie vertreiben Sie sich die Zeit? Ich gehe auf Entdeckungsreise. Im Sommer nehme ich gerne die Fähre nach Pillnitz und laufe den Weg zurück in die Stadt. Oder ich gehe an der Elbe und im Großen Garten spazieren, schau mir die Orte an, die ich aus meiner Kindheit kenne. Einmal bin ich zurück nach Coschütz gegangen, wo ich aufgewachsen bin. Erst dachte ich, dort stehen jetzt viele Neubauten, aber es hatte sich gar nicht viel verändert. Die alten Fachwerkhäuser sind geblieben. Und am Feierabend? Ein Bier mit Gorniak und Winkler? Das kommt darauf an, wie lange der Tag geht. Wir werden schon morgens um sechs zum Dreh abgeholt und sind oft erst um 18 oder 20 Uhr fertig. Oft bereite ich mich dann auf den nächsten Tag am Set vor. Aber manchmal gehen wir auch gemeinsam etwas essen oder trinken. Aber aus dem Alter durchzechter Nächte bin ich raus. Obwohl wir das auch schon gemacht haben. Von Laura Catoni