So starten die Dresdner Hochschulen in das Sommersemester

Mit ruhiger und eindringlicher Stimme gibt Jason Beechey den nächsten Tanzschritt vor. Geduldig diktiert er wieder und wieder den Bewegungsablauf. Klassisches Ballett steht heute auf dem Stundenplan der Palucca-Tanzschüler. Alles wie immer, könnte man meinen. Doch die schicke weiße Einbauküche im Hintergrund des Rektors und Tanzlehrers verrät, dass das hier keine normale Unterrichtsstunde ist. Wie in allen deutschen Schulen und Universitäten finden auch an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden auf unbestimmte Zeit keine Präsenzveranstaltungen statt – zu hoch ist das Corona-Ansteckungsrisiko. Daher lernen sich Schüler und Lehrkräfte derzeit besser kennen, als sie vielleicht im normalen Unterricht getan hätten. Das Wohnzimmer als Tanzstudio und quengelnde Kinder, die plötzlich die Unterrichtsstunde entern, schaffen trotz Video-Livestream und räumlicher Distanz ein neues Gefühl von Nähe. „Was vorher keiner glaubte, nämlich Tanzunterricht digital zu geben und zu nehmen, funktioniert erstaunlich gut”, resümiert Palucca-Pressesprecherin Madlen Domaschke nach den ersten Wochen Bildschirmunterricht. Technische Infrastruktur mit Lücken: Nicht nur an der Palucca-Schule, sondern an allen künstlerischen Hochschulen in Dresden ist die Kreativität von Studierenden und Lehrenden gegenwärtig besonders gefragt. Tanzstunden, Klavierunterricht sowie Modellarbeit in Ateliers und Werkstätten sind mit digitalen Lehrmitteln kaum zu ersetzen. Die Tonqualität eines Videos reicht der persönlichen Klavierstunde im Proberaum nicht das Wasser. „Im Bereich des E-Learning kann man wissenschaftlich gut arbeiten, im künstlerischen Bereich hingegen wird es schwer”, sagt Axel Köhler, Rektor der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Für einen vollwertigen digitalen Unterricht bräuchten Lehrer und Schüler ein Aufnahmestudio mit zwei bis sechs Mikrofonen und einen Großbildschirm. Das kostet mindestens 25 000 Euro. Über eine solche Ausstattung verfügen nur eine Hand voll Musikhochschulen weltweit, die gerne mal 50 000 US-Dollar Studiengebühren pro Semester verlangen. Viel mehr plagt Köhler indessen eine andere Frage, denn rund die Hälfte der Studierenden an der Musikhochschule kommt nicht aus Deutschland: „Es ist völlig unklar, ob sie zu einem möglichen Semesterbeginn überhaupt aus- oder einreisen dürfen.” Ein Krisenstab der Hochschule hat nun anhand verschiedener potentieller Starttermine des Sommersemesters einen Stufenplan entwickelt. „Doch je weiter das Semester nach hinten verschoben wird, desto unwahrscheinlicher wird die Durchführung”, befürchtet Köhler. Die Hochschule für Bildende Künste (HfBK) nimmt die Ausnahmesituation zum Anlass, um zwei Projekte der europäischen Hochschulallianz „EU4Art” mit Partnerschulen in Budapest, Rom und Riga früher umzusetzen als eigentlich geplant. Beide Projekte sind im Kontext der virtuellen Mobilität angesiedelt und erproben digitale Lehrformate. HfBK-Pressesprecherin Andrea Weippert betont trotzdem, dass die aktuellen Rahmenbedingungen für „Kunststudierende wie Lehrende nicht zuvorderst eine technische, sondern eine geistige Herausforderung darstellen”. Vor technischen Herausforderungen in der digitalen Lehre steht die HfBK in Dresden nicht alleine. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), wo das Sommersemester schon am 16. März begann, reichen die Leitungskapazitäten derzeit nicht aus, um synchrone Videovorlesungen für einen Großteil der Studierenden zu halten. Die Lehrveranstaltungen sind deshalb im Netz auf Abruf verfügbar. Entwarnung für BAföG-Empfänger: Ähnlich wie an der HTW sind an der Technischen Universität (TU) die Fakultäten und Lehrkräfte individuell für die Art der Lehrveranstaltungen zuständig. Detaillierte, fakultätsübergreifende Vorgaben oder Strategien für die Umsetzung gibt es nicht. An der mit 32 000 Studierenden größten Hochschule der sächsischen Landeshauptstadt herrsche pünktlich zum Semesterstart in dieser Woche „eine Aufbruchsstimmung, die viel Energie freisetzt”, schreibt die TU-Pressestelle. Einige Lehrende erarbeiten in ihrer Freizeit Tutorials, die sie den Kollegen sowie zentralen Stellen zur Verfügung stellen, bieten intern Webinare für einzelne Tools an und beraten sich gegenseitig. Neben der Verfügbarkeit von Computern und schnellem Internet im Homeoffice der Studierenden wird der Erfolg dieser gemeinschaftlichen Improvisation vermutlich vom didaktischen Konzept und der Anpassungsfähigkeit der angehenden Akademiker abhängen. Doch wie soll ein Sportstudent seine praktische Prüfung per Videostream ablegen? Oder eine Biologiestudentin für ihr Studium elementare Laborversuche zu Hause durchführen? Die Exzellenzuniversität versichert, dass das Sommersemester 2020 nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet wird, sofern ein Studium und das Ablegen von Prüfungen aufgrund der Coronapandemie nicht möglich waren. Das soll vor allem BAföG-Empfängern Sicherheit geben, die normalerweise nur innerhalb der Regelstudienzeit staatliche Förderung erhalten. Auf der Kultusministerkonferenz wurde beschlossen, dass nicht nur für BAföG, sondern auch für Kindergeld oder die Krankenversicherung flexible Regelungen gefunden werden, „die den Lebenswirklichkeiten der Studentinnen und Studenten in Zeiten der Covid-19-Pandemie gerecht werden”. Prüfungen planmäßig im April: Auf Länderebene beschloss der Freistaat zudem vergangene Woche, dass Medizinstudierende an sächsischen Universitäten ihre Prüfungen zum zweiten Staatsexamen planmäßig Mitte April ablegen werden. Diese Entscheidung fand eine breite Zustimmung unter den betroffenen Prüfungskandidaten, die sich im Vorfeld zu 80 Prozent für eine Teilnahme an den Prüfungen in diesem Jahr entschieden hatten. Hintergrund des Beschlusses ist, dass die Studierenden nach erfolgreichen Examen sofort ihr praktisches Jahr in einer Klinik beginnen und so der angespannten Personalsituation in den Krankenhäusern entgegenwirken können. Praktische Bühnenerfahrung wird angehenden Musikern und Tänzern womöglich noch geraume Zeit verwehrt bleiben. „Tänzer und Tänzerinnen wollen natürlich auf der Bühne stehen”, bedauert Palucca-Sprecherin Domaschke. Zumindest die ersten Wochen des Sommersemesters werden trotz erzwungenen Fortschritts gewöhnungsbedürftig – für Studierende wie Lehrende. Wer von den Studierenden für Homeoffice, Selbstorganisation und Online-Seminare nur wenig übrig hat, dem bleibt noch eine alternative Option: Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Bündnis 90/ Die Grünen) und Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) riefen Sachsens Studierende auf, kurzfristig als Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft anzupacken. Von Aaron Wörz

Corona-Krise - So starten die Dresdner Hochschulen in das Sommersemester