Neuer Pfarrer für die evangelisch-reformierte Gemeinde Dresden: „Ich habe einen Instagram-Account“

Der eine, Klaus Vesting, geht mit 65 in den Ruhestand. Der andere, Fabian Brüder, kommt mit 31. Nicht nur der Altersunterschied zwischen dem bisherigen und dem neuen Pfarrer der evangelisch-reformierten Gemeinde in Dresden ist beträchtlich. Klaus Vesting stammt aus Halle an der Saale, aus pietistischem Hause, weiß zu berichten, wie es einem als Christ in der DDR erging. Fabian Brüder kommt aus dem Westen Deutschlands, ist aber in jenem Jahr 1989 geboren, das den Anfang des Endes von BRD und DDR markiert. Christ sein bedeutet, Verantwortung zu übernehmen: Offenheit im Hinblick auf die Konfession gehört zu seinen frühen Erfahrungen. Seine Mutter, als Buchhalterin tätig, ist evangelisch-lutherisch. Sein Vater, EDV-Programmierer, römisch-katholisch. Laatzen, dieser Vorort von Hannover, in dem er aufwuchs, sei multikulturell geprägt, erzählt er. „In der Schule saß ich mit Kindern zusammen, deren Eltern aus Afghanistan, Iran oder der Türkei stammten.“ Unter seinen Freunden waren Muslime. Seine Klavierlehrerin brachte ihm statt der Etüden Polnisch bei und öffnete ihm ein erstes Fenster nach Ostmitteleuropa. „Ich wollte mehr wissen über diesen geschichtlichen Raum.“ Große Offenheit habe er auch in der lutherischen Kirchgemeinde erlebt, die er zum Kindergottesdienst besuchte. Für die Pastoren habe Engagement in der Gesellschaft im Sinne von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eine wesentliche Rolle gespielt. „Christ sein bedeutete, Verantwortung zu übernehmen; Glauben zu leben hieß, für ein gutes Miteinander, Toleranz und Verständigung einzutreten.“ Glauben habe er nicht als System feststehender Wahrheiten erlebt, sondern als etwas, das Neugier weckte. Mit zwölf diskutierte er in einem Gesprächskreis über Grundprobleme. „Andere haben mir zugehört, ich hörte von ihnen spannende Gedanken. So ist Gemeinde für mich ein Ort für kleine und große Fragen des Lebens und Handelns geworden.“ Gelegentlich feierte er Gottesdienste in der katholischen Kirche mit. Und er war zu Gast in der liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover. „Ich finde deren Rückgriff auf geschichtliche Erfahrungen faszinierend. Wie sie sich zu Feiertagen ihrer Vergangenheit erinnern um der Gegenwart und Zukunft willen.“ Entdeckung der Einfachheit der Reformierten: Dass Geschichte in Osteuropa für viele Menschen mit schmerzlichen Erfahrungen verbunden ist, hat er während eines Freiwilligendienstes in Estland erfahren. Ein Jahr lang half er in einer Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche; daneben in einer lutherischen Gemeinde. Er erfuhr, was Kirche zu sein in einem atheistisch geprägten Land bedeutet. Und er erlebte orthodoxe Gottesdienste. Vier Jahre später ist er noch einmal dorthin gegangen, um Estnisch zu lernen und in Tartu zu studieren. Begonnen aber hat er das Theologiestudium in Leipzig. Theologie sei alles andere als einseitig, meint er. „Es ist eine faszinierende Mischung aus Geschichte, Sprachen, Philosophie, Politik, Religion.“ In der Messestadt hat er die Einfachheit der Reformierten als das entdeckt, was seinen Vorstellungen am besten entspricht: Gottesdienste ohne liturgischen Wechselgesang, im Mittelpunkt die Predigt. Aus dem Alten Testament haben sie das jüdische Bilderverbot in Kirchenräumen übernommen. „Dort steht nur der Abendmahlstisch mit der Bibel darauf; um den herum Menschen als Ebenbilder Gottes in Gemeinschaft versammelt – das ist doch ein starkes Symbol für den christlichen Glauben.“ Der eigentliche Reichtum sei der an biblischen Geschichten. „Darin berichten Menschen von Krisenerfahrungen und reflektieren darüber. Mit der Bibel liegt ein ganzes Universum auf dem Tisch.“ Deren Tradition will Fabian Brüder zu Gehör bringen. Und fragen, was diese großen Erzählungen für das Zusammenleben im Alltag bedeuten. Das ökumenische Netzwerk pflegen: Gespräche mit denjenigen, die sich christlicher Theologie von der Außenperspektive näherten, von der Kunst oder der Literatur her, hätten ihn schon während des Studiums besonders bereichert. Während seines Probedienstes in Lübeck hat er in einem Projekt ein Sofa ins Kirchenportal gestellt. Menschen zwischen 20 und 40 Jahren konnten sich da drauf setzen und erzählen, wer für sie ein Weltveränderer ist. Sie haben Poetry-Slam-Texte geschrieben. Musiker gefragt, wovon sie träumen. Worauf die mit Stücken auf ihren Instrumenten antworteten. „Wir wollten wissen, wie jüngere Menschen Zugang zu Kirche finden – ohne sie missionarisch als Mitglieder gewinnen zu wollen.“ In Dresden möchte Fabian Brüder neben der Arbeit für seine Gemeinde das ökumenische Netzwerk zu anderen Konfessionen pflegen, das sein Vorgänger Klaus Vesting geknüpft hat. Die Neue Synagoge in der Nachbarschaft freut ihn. Rabbiner Akiva Weingarten war beim Einführungsgottesdienst dabei. Fabian Brüder führte schon während des Studiums in Berlin rege Diskussionen mit Rabbinatsstudenten vom Abraham-Geiger-Kolleg. Für die Information nutzt er auch digitale Medien. „Ich habe einen Instagram-Account“, sagt er. „Aber ich bin kein Instagram-Pfarrer.“ Mit fertigen Konzepten komme er nicht, betont er. „Ich frage zuerst, was den Mitgliedern wichtig ist, was sie an Talenten mitbringen. Entscheidend ist, dass wir als Gemeinde gemeinsam unterwegs sind. Und dass unsere Kirche ein Ort ist, wo Fragen gestellt werden.“ Von Tomas Gärtner