Locationscout Jens Noack sucht in Dresden die perfekten Drehorte

Eine wilde Verfolgungsjagd durchs Parkhaus: Mit quietschenden Reifen rast der Fluchtwagen die schneckenförmige Auffahrt empor. Polizeiwagen folgen mit Blaulicht, doch die Frau am Steuer schafft es, sie abzuschütteln. Auf dem obersten Parkdeck kommt es zum finalen Show-down – die Flüchtende droht, mit ihrem Sohn vom Gebäude zu springen... Dass der letzte Dresdner Tatort „Nemesis“ gerade auf dem Dach der Centrum Galerie sein dramatisches Ende findet, ist Jens Noack zu verdanken. Der Dresdner ist seit über zehn Jahren als Locationscout tätig, er sucht die passenden Drehorte für große Filmproduktionen. „Das Motiv ist essenziell: Der Film lebt von den Bildern, die durch die einzelnen Orte erzeugt werden“, weiß Noack. „Für das große Finale hat die Centrum Galerie einfach perfekt gepasst.“ Jährlich bearbeitet der 45-Jährige acht bis zehn Projekte. Noacks Unternehmen, die Mitteldeutsche Filmdienst GmbH, hat unter anderem an George Clooneys Hollywood-Streifen „Monuments Men“ mitgewirkt. Zudem suchte der Firmenchef persönlich Drehorte für „Werk ohne Autor“ oder die „Bibi & Tina“-Reihe aus. Und eben für alle Tatort-Filme aus Dresden, die seit 2015 ausgestrahlt wurden. Lesen Sie auch: „Das Nest“ – So brutal gut war der neue Dresden-“Tatort“ Suchen, suchen, suchen: Wie auch das Ermittlerteam im Tatort ist Jens Noack ständig auf Motivsuche. Sie beginnt damit, dass er sich in Ruhe das Drehbuch für den Film durchliest. Danach führt der Locationscout mit dem Szenenbildner ein intensives Vorgespräch. „Dabei erfahre ich, welche Drehorte gewünscht sind“, erklärt Noack. Oft muss er auch eigene Ideen entwickeln: „Wenn im Drehbuch ein Schauplatz nicht genau beschrieben wird, muss ich mir Gedanken machen, welches Gebäude zur Geschichte, zum Charakter und zum sozialen Status der Protagonisten passen könnte.“ Als nächster Schritt folgt die Recherche: Jens Noack fährt mit seinem Wagen herum, telefoniert, durchstöbert das Internet und sein eigenes Drehort-Archiv. Sind die passenden Schauplätze erst gefunden, muss Noack das Einverständnis der Eigentümer bekommen. Filmdrehs im öffentlichen Raum muss er bei der entsprechenden Behörde genehmigen lassen. Ist alles geklärt, setzt sich der Scout mit Regisseuren, Szenenbildnern und Kameramännern an einen Tisch. „Gemeinsam begutachten wir das Portfolio und entscheiden uns für die favorisierten Drehorte. Die werden dann im Rahmen einer Motivtour besichtigt“, sagt Noack. Eigentlich könnte der Locationscout ab diesem Punkt seinen wohlverdienten Feierabend genießen. Doch Jens Noack ist außerdem als Locationmanager tätig. „Der Scout sucht, der Manager bereitet vor und wickelt ab“, erklärt der Mittvierziger. „Ich sorge dafür, dass das Motiv für den Dreh fertig gemacht wird, dann übergebe ich an die Set-Crew. Und wenn das Telefon über den Drehtag ruhig bleibt, dann habe ich alles richtig gemacht.“ Mann mit vielen Fähigkeiten: Angefangen hat Jens Noack ganz unten, als Praktikant am Set, erzählt er. Ab 2001 arbeitete der Filmenthusiast als Setaufnahmeleiter und kümmerte sich um die Koordination des Drehtags. Seit 2008 ist Noack als Locationscout und Locationmanager tätig. Seine Arbeit setzt gewisse Talente voraus: „Locationscouts benötigen ein fotografisches Verständnis und eine bildliche Vorstellungskraft.“ So wird ein Dresdner Fotoatelier für den Tatort kurzerhand zu einer Mädchen-WG umgebaut, die Gläserne Manufaktur zum protzigen Sitz eines Versicherungskonzerns. „Der Kreativität dürfen keine Grenzen gesetzt sein.“ Der Scout muss Rücksicht auf logistische und finanzielle Ansprüche der Produktion nehmen, zudem sollte er sich in seiner Heimatstadt auskennen. Vor allem aber muss er stressresistent sein: Wenngleich Noack flexible Arbeitszeiten hat, steht er dennoch oft unter großem Druck. Für einen Tatort-Krimi hat er nur wenige Wochen Zeit, um alle potenziellen Schauplätze zu finden. Außerdem besitzen Filmschaffende in der Regel eine hohe Erwartungshaltung: „Regisseure sind oft in ihrer eigenen Filmwelt gefangen. Eine meiner Aufgaben besteht darin, ihre Ansprüche mit der Realität zu synchronisieren. Eine Verfolgungsjagd auf einer Bundesautobahn mit Blaulicht und Fahrtrichtungswechsel ist ohne groß angelegte Sperrung nicht umzusetzen. Dann ist es an mir zu sagen: Eine Landstraße ist absolut ausreichend“, sagt Noack und lacht. Alles in allem ein dickes Aufgabenbündel für eine einzige Person. Dafür kann sich Jens Noack aber darauf verlassen, dass immer neue Aufträge in sein Postfach flattern – denn er ist der einzige Locationscout in der Elbmetropole. „In Dresden gibt es keinen anderen, der etwas Derartiges macht“, bestätigt der Unternehmer. Wirbelsturm im Wohnzimmer: In der Branche ist Kommunikation sehr wichtig, weiß Noack. Viele der sogenannten Motivgeber freuen sich, wenn Menschen vom Film anfragen. „Sie finden das alles unheimlich spannend. Man muss den Leuten aber erklären, was sie genau erwartet.“ Schließlich bedeute Filmdreh auch, dass eine 30-köpfige Crew in großen Fahrzeugen anrollt und das gesamte Haus auf den Kopf stellt. „Ich sage dann immer: Stellt euch vor, ein Tornado würde durch eure Wohnung fegen“, so Noack. Zuerst geht das Ausstattungsteam herum und knipst hunderte Fotos, danach wird umgeräumt. Schränke werden verrückt, Teppiche ausgetauscht, Möbel angeschleppt. Bei einem Science-Fiction-Film, den er betreute, musste sogar ein Teil einer Hauswand herausgerissen werden, erinnert sich Noack. „Aber das ist eher ungewöhnlich“, meint er. „Nach dem Dreh wurde die Wand wieder aufgebaut.“ Auch dafür ist im Übrigen der Locationmanager zuständig: Er übergibt die Räume zum Schluss wieder an die Motivgeber – und zwar so, wie er sie anfangs vorgefunden hat. Mord am Weinhang: Jens Noack brennt für jedes seiner Projekte. Er legt keinen Wert darauf, ganz vorn im Abspann zu erscheinen oder große Preise abzuräumen. „Die Lorbeeren brauche ich nicht, sie gebühren anderen. Ich arbeite einfach gern im Hintergrund, damit die Produktion reibungslos funktioniert“, meint er bescheiden. Auf die Frage, mit welchem Filmemacher er gerne noch zusammenarbeiten würde, fallen nicht etwa die großen Namen. „Eigentlich“, meint Noack nach kurzer Bedenkzeit, „würde ich gerne mal mit meinem Bruder einen Film drehen.“ Ralf Noack ist Kameramann, er war an mehreren Werbe- und Kinofilmen sowie an Produktionen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen beteiligt. Das Familienprojekt muss aber noch warten: Aktuell widmet sich Jens Noack wieder dem Dresdner Tatort. Der aktuelle Streifen „Die Zeit ist gekommen“ wird am Sonntag, 5. April, ausgestrahlt. Weiterlesen: „Die Zeit ist gekommen“ - Das ist der neue Tatort aus Dresden Irgendwann, wenn es passt, möchte er die Weinhänge in Radebeul für einen Kriminalfilm vorschlagen – in diese Location hat sich Noack ein wenig verguckt. „Die wunderschöne Landschaft wäre das ideale Motiv für einen Mord. Die Idee des Winzer-Krimis habe ich schon vorgeschlagen“, sagt er schmunzelnd. „Mal sehen, was sich daraus ergibt.“ Von Junes Semmoudi

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