Jugendhilfe Dresden: Geplante Einschnitte bedrohen die Straßenschule der Treberhilfe

Psychische Probleme, Drogenkonsum und Obdachlosigkeit: Junge Menschen in außergewöhnlichen Lebenssituationen bekommen durch das Angebot der Straßenschule Dresden Hilfe. Wochentags haben sie hier die Möglichkeit, in zwei Lerngruppen auf ihren Haupt- oder Realschulabschluss hinzuarbeiten. „Wir bieten den jungen Menschen Struktur, geben ihnen eine Perspektive und unterstützen sie bei ihren Zielen“, sagt Dieter Wolfer, Geschäftsführer der Treberhilfe Dresden, die die Schule betreibt. Doch die Zukunft des straßenpädagogischen Projektes ist ungewiss. Wegen der Coronapandemie drohen Einschnitte bei den freien Trägern der Jugendhilfe: Fließen in diesem Jahr voraussichtlich 23,4 Millionen Euro in dem Bereich, sollen es in den kommenden beiden Jahren nur 22,5 und 22,6 Millionen Euro sein. So steht es derzeit im Haushaltsentwurf. Damit sei der Statuts quo nicht gesichert, sagte Jugendamtsleiterin Sylvia Lemm Anfang November. Der Straßenschule droht deshalb im schlimmsten Fall das Aus. Aktive Mitarbeit und Wissensdurst der Schüler: Seit 2014 existiert die Schule in Dresden. Den Unterricht gestaltet ein bunt gemischtes Dozententeam. Mit an Bord sind etwa Doktoranden, pensionierte Lehrer und andere Freiwillige. Aber auch Studenten, wie Susanne Weinhold. Im August hat die 25-Jährige angefangen, an der Straßenschule als Lehrerin zu arbeiten. „Ich wollte mich ehrenamtlich engagieren, hatte von den Streetworkern der Treberhilfe gehört, mich aber schlussendlich für die Straßenschule entschieden.“ Aus ihrer Sicht das Beeindruckende an der Tätigkeit: die aktive Mitarbeit und der Wissensdurst der Schüler. Im Vorfeld habe Susanne Weinhold Respekt vor den Lebensumständen der jungen Menschen gehabt, wie sie sagt. „Ich wusste nicht, inwiefern die Vorgeschichte eine Rolle spielt“, sagt sie. Raue Umgangsformen habe sie erwartet, das Gegenteil trat ein. „Bis jetzt ist es ein sehr tolerantes und offenes Miteinander.“ „Den Unterdrückten das Wort geben“: Der Grund hierfür ist womöglich der Unterricht auf Augenhöhe. Nach jeder Stunde gibt es eine Feedbackrunde, in der die Schüler den Unterricht reflektieren und konstruktive Kritik äußern können. „Das Ziel ist ein wechselseitiges Lernen zwischen Dozenten und Teilnehmern“, sagt Beate Rohde. Die 44-Jährige arbeitet als Koordinatorin in der Straßenschule, bekleidet eine von drei festen Stellen. „Durch die Feedbackrunde lernen unsere Teilnehmer ganz gezielt, ihre Wünsche zu äußern.“ Lesen sie auch: Wie die Dresdner Treberhilfe Menschen in Not hilft Für Wolfer ist das einer der wesentlichen Unterschiede zu einer regulären Schule. Das Motto: „Den Unterdrückten das Wort geben.“ Neben den regelmäßigen Feedbackrunden ist auch die Klassengröße entscheidend für den Erfolg eines jeden Einzelnen. In den Lerngruppen sitzen nur um die zehn Schüler. „Deshalb fällt jeder auf, der nicht mitmacht“, sagt Wolfer. Dozenten oder auch andere Schüler würden so Passive zur Unterrichtsteilnahme animieren können. „Gerade in Kleingruppen trauen sich Einzelne mehr zu“, sagt Wolfer. Die Wünsche der Jugendlichen sind vielfältig: Das Konzept geht auf, findet Schüler Jonas*. Der 24-Jährige ist in diesem Jahr neu an die Straßenschule gekommen. „Hier habe ich ein besseres Lernklima, als etwa an einer Abendschule“, sagt er. Die Dozenten würden hier sehr intensiv auf die einzelnen Schüler eingehen. Vor Jahren hat Jonas seinen qualifizierenden Hauptschulabschluss gemacht, im Anschluss eine Ausbildung zum Sozialassistenten begonnen – diese aber abgebrochen. Die Gründe wollte der 24-Jährige nicht nennen, dafür sein neugestecktes Ziel: „Ich will Heilerziehungspfleger werden, dafür muss ich die Ausbildung nachholen.“ Um einen Platz zu bekommen, brauche er aber einen Realschulabschluss. Wie Jonas will auch Lea* ihren Realschulabschluss an der Straßenschule nachholen. Wegen psychischer Probleme hatte die 17-Jährige ihre alte Schule verlassen, kam auch mit der dortigen Klassengröße nicht zurecht. Nach einem Klinikaufenthalt fing sie eine Ausbildung zur Köchin an. Allerdings: „Ich war noch nicht stabil genug, das durchzustehen“, sagt sie. Bei einer Helferkonferenz des Jugendamtes hörte sie von der Straßenschule – und nimmt seitdem am Unterricht teil. Nach ihrem Schulabschluss will die 17-Jährige im kreativen und künstlerischen Bereich tätig sein. „Am liebsten möchte ich als Bühnenbildnerin am Theater arbeiten, das hat mich schon immer fasziniert.“ Ein wichtiges Projekt für die Zukunft: Genau wegen solcher Lebensgeschichten hat die Treberhilfe das Projekt in Dresden aufgebaut. „Über die Straßensozialarbeit lernten wir benachteiligte Kids kennen“, sagt Wolfer. Dabei seien massive Chancenungleichheiten aufgefallen – besonders bei jungen Menschen aus benachteiligten Stadtteilen oder jenen mit Migrationshintergrund. Daher erschien ein Angebot notwendig, „das sich individuell auf die jungen Menschen in schwierigen Lebenslagen einstellt“, so Wolfer. Und das mit Erfolg: Seit 2014 konnten 41 Jugendliche und junge Erwachsene ihren Schulabschluss nachholen. Um die Arbeit weiterzuführen, benötigt die Straßenschule jährlich rund 165 000 Euro. „Wir haben eine steigende Einwohnerzahl und eine sehr hohe Geburtenrate in Dresden“, sagt Wolfer. In Angebote für Jugendliche „müssten wir deshalb eben mehr investieren, anstatt zu kürzen“. Von Felix Franke