Handelsverband: „Sechs von zehn Geschäften in der Dresdner Innenstadt droht das Aus“

Nach dem ersten Lockdown im Frühling ist den Dresdner Einzelhändlern durch den zweiten Lockdown seit Mitte Dezember auch das Weihnachtsgeschäft weggebrochen. Jetzt, Mitte Januar, müssen die Läden – abgesehen von einigen Ausnahmen wie dem Lebensmittelhandel und Drogerien – weiter geschlossen bleiben. Wie ist die Lage im Dresdner Einzelhandel? „Die Lage ist bedrohlich“, vielen Unternehmen gehe die Luft aus, sagt David Tobias, Geschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen e. V. Schon der Light-Lockdown habe dem Modehandel im November 50 Prozent Umsatzrückgang im Vergleich zu 2019 gebracht, weiß Jörg Bormann. Er betreibt nicht nur drei Modegeschäfte, darunter die „Zwei Welten“ im Seidnitzcenter in Dresden, sondern seit 30 Jahren auch eine Vertriebsagentur mit den Kollektionen verschiedener Bekleidungshersteller mit einem Showroom in Leipzig. Er betreut so nach eigener Aussage über 200 Bekleidungsfachhändler. Massive Umsatzeinbrüche: Stephan Holzweißig, der in seinem Geschäft „Schuhtyp“ in der QF-Passage Designschuhe verkauft, bestätigt, dass die Umsätze schon im November mit der Schließung der Hotels und Restaurants massiv eingebrochen seien und spricht von 75 Prozent. Jörg Bormann zufolge seien etwa 60 Prozent der Winterware im Handel liegengeblieben. Dem Handel gehe die Liquidität aus, um Mieten, Sozialversicherungen und Löhne für die Mitarbeiter zu bezahlen, um die offenen Rechnungen der Winterware an die Lieferanten zu bezahlen und um die neue Frühjahrsware finanzieren zu können. Überschuldet ohne eigene Schuld: „Im ersten Lockdown gab es noch die Möglichkeit der Miet- und Steuerstundung“, so der Dresdner Einzelhändler und Vertriebsfachmann weiter. Im zweiten Lockdown sei dies nicht der Fall. „Die SAB-Kredite, die mit günstigen Konditionen auch dem Handel zur Verfügung gestellt wurden, sind aufgebraucht und helfen dem Handel im zweiten Lockdown nicht mehr. Außerdem bleiben die Darlehen zur Rückzahlung fällig, ebenso die Mietstundungen aus dem ersten Lockdown. Das heißt, der Handel ist überschuldet – und das völlig ohne eigenes Verschulden.“ Mangels wirksamer Wirtschaftshilfe laufe den Unternehmen die Zeit weg, ergänzt David Tobias vom Handelsverband. „Sechs von zehn Innenstadt-Geschäften droht das Aus.“ Und es helfe nicht, wenn der sächsische Wirtschaftsminister darauf verweise, dass das Insolvenzrecht bis Monatsende ausgesetzt sei. „Das zeugt leider von betriebswirtschaftlicher Unkenntnis. Denn die Insolvenz nicht beantragen zu müssen ist das eine, die tatsächliche Zahlungsfähigkeit aber das Entscheidende“, so David Tobias weiter. Wie ist die Stimmung unter den Einzelhändlern? Sie reiche von „Gottvertrauen, dass es im Februar weitergeht“ bis zu tiefer Verzweiflung und auch Wut, weiß der Chef des Handelsverbandes Sachsen aus unzähligen Gesprächen. Nicht die Entscheidung für den Lockdown selbst werde kritisiert, wohl aber die Kommunikationspolitik, die Perspektivlosigkeit und das zögerliche Handeln aller Beteiligten bei der überlebensnotwendigen Finanzhilfe, bringt der Handelsverband die Kritik auf den Punkt. „Wenn der Handel dieses Opfer zum Wohl der Gesellschaft zur Pandemiebekämpfung zu leisten hat, dann sollte der Staatsregierung auch die Rettung des Handels von gesellschaftlichem Wert sein.“ Jens Preißler, Center Manager der Altmarktgalerie, kritisiert, dass den Geschäften der Click&Collect-Weg – also Ware online bestellen und vor Ort abholen – in Sachsen verwehrt sei. Das sei neben der Schließungsanordnung ein weiterer Tiefschlag. „Sachsen ist leider das einzige Bundesland, in dem dieser Service verboten ist. Konzepte der nahezu kontaktfreien Umsetzung gibt es genügend.“ Wie viele Arbeitsplätze bietet der Einzelhandel in Dresden? Etwa 3300 Geschäfte aller Größen, Branchen und Betriebsgrößen gibt es in Dresden, sagt David Tobias. Er bezieht sich bei dieser Angabe auf eine Studie der Unternehmens- und Kommunalberater Dr. Lademann & Partner. Knapp 40 000 Arbeitsplätze biete der Dresdner Einzelhandel. Gibt es Übereinkünfte, Miete zu verringern oder zu stunden? „Es gibt individuelle Lösungen. Aus Sicht des Handels sind die Mieten eine der größten Kostenpositionen nach den Personalkosten. Volkswirtschaftlich lösen wir das Problem aber damit nicht“, ist die Ansicht von David Tobias. Denn viele Vermieter seien Privatpersonen, die fremdfinanzierte Immobilien vermieten. Da stünden entsprechend Bankkredite in Größenordnungen dahinter. „Zum anderen gibt es Fonds, auf die immer wieder geschaut wird. Auch wenn wir eine größere Finanzkraft unterstellen, so verbergen sich dahinter häufig Alters- und Rentenvorsorgen.“ Haben in Dresden bereits Geschäfte aufgegeben? Die Frage der Geschäftsaufgabe sei ein sehr intimes und emotionales Thema, was Kaufleute oft mit sich selbst und ihrer Familie ausmachen würden, sagt der Geschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen. „Ich fürchte, viele Unternehmen werden schleichend leise vom Markt verschwinden. Und das Erstaunen wird irgendwann vielerorts groß sein, weil uns lieb gewonnene Geschäfte einfach weg sind.“ Ist die Einkaufsstadt Dresden in Gefahr? Dresden als internationale Einkaufsstadt lebe von nationalen und internationalen Touristen. „Es wird die Dresden Marketing GmbH viel Kraft kosten, daran irgendwann wieder anzuknüpfen“, formuliert es David Tobias. Die Pandemie habe die Entwicklung der Dresdner Innenstadt deutlich zurückgeworfen, sagt Jens Preißler, der Center Manager der Altmarktgalerie. „Entwicklungen, welche nacheinander gegebenenfalls sowieso stattgefunden hätten, haben und werden zeitgleich stattfinden.“ Das mache es in diesem und nächsten Jahr nicht einfacher. „Gastronomie und Hotellerie, sowie Einzelhandel sind ganz wesentliche Bausteine für eine lebendige Innenstadt. Leider kann man aktuell das Gefühl gewinnen, der stationäre Handel und seine Bedeutung für lebendige Innenstädte wird etwas vergessen.“ Wird es nun einen nie dagewesenen Schlussverkauf geben? Das kommt zum einen darauf an, wann die Geschäfte wieder öffnen dürfen. Denn wer will im März noch Winterkleidung kaufen? Zudem halten viele jetzt das Geld zusammen, weil sie selber nicht wissen, ob sie morgen noch Arbeit haben. „Die Kunden, die zur Zeit bestimmte Produkte brauchen, zum Beispiel Winterschuhe für Kinder, versorgen sich online. Das sind Umsätze, die man mit einem verantwortungsvollen Abholservice momentan retten könnte, aber politisch verhindert. Nachgeholt werden diese Umsätze im Frühjahr dann definitiv nicht mehr“, antwortet der Geschäftsführer des Handelsverbandes. Schuhgeschäftbesitzer Stephan Holzweißig zum Beispiel vermag keine Prognose zu geben, ob es bei ihm massive Reduzierungen geben werde. Es gebe sicher Modelle, die man auch in der nächsten Saison noch anbieten könne, ohne sie jetzt verramschen zu müssen. Außerdem brauchen die Händler ja auch Geld, um wieder neue Ware kaufen zu können. Sehen lokale Händlern den Online-Verkauf als Option? Nicht in bedeutsamem Umfang. Schon beim ersten Lockdown gab es die eine oder andere Initiative, virtuelle Marktplätze für den Dresdner Einzelhandel zu etablieren. Das ist aber nicht so einfach. Der „oberflächliche Verweis der Politik, ,die können ja online was machen’“ zeuge von „erschreckend wenig Praxis-Kenntnis“, findet David Tobias markige Worte. Aus seiner Sicht brauche es „im Haifisch-Becken des Internethandels“ hohe Umschlagzahlen und Finanzkraft, um mithalten zu können. Die Kundenerwartungen seien anders ausgeprägt und jederzeitige Lieferfähigkeit in allen Farben, Formen und Größen werde vorausgesetzt. Onlinehandel für Ladengeschäft nicht wirtschaftlich: „Das erfordert einen Warenbestand, der weit über die Ware eines normalen Ladengeschäftes hinausgeht. Es gibt schlicht betriebswirtschaftliche und logistische Grenzen“, so die Begründung. Denn dieser Warenbestand und vor allem die mit dem Online-Handel verbundene Retourenquote lasse sich für einen stationär geprägten Laden wirtschaftlich nicht darstellen. Die Retourenquote sei bekanntermaßen bei online bestellter Ware höher. „Darüber sollte die Politik, die uns auch stets zur Nachhaltigkeit mahnt, ebenso nachdenken.“ Es stelle sich die Frage, „ob wir alle zusammen das wirklich wollen, dass der lokale Handel sukzessive ins Netz geschoben wird. Denn bereits jetzt hinterfragen erfolgreiche Online-Händler einmal mehr ihre stationären Ladengeschäfte.“ Dennoch Investitionen ins Digitale: Gleichwohl hätten in den letzten Monaten und Jahren die Handelsunternehmen viel Zeit und Geld investiert, um sich auch technisch und digital weiterzuentwickeln. „Im Gegensatz zu reinen Online-Händlern im Übrigen eine zusätzliche finanzielle Investition zum stationären Kerngeschäft. Und – auch das muss betont werden – in der Mehrzahl der Fälle ohne nennenswerte Fördermittel“, betont David Tobias. Sachsen gehe hier besonders streng mit dem Handel um und schließe Händler sogenannter Verbundgruppen aus, kritisiert er. Dabei handele es sich um Unternehmen, „die beispielsweise die Beschaffung der Waren aus Bereichen wie Sport, Mode, Schuhe oder Spielwaren gemeinsam organisieren, um überhaupt am Markt bestehen zu können und es sind die Geschäfte, die (noch) unsere kleineren und mittleren Städte prägen.“ Von Catrin Steinbach