Frauke Roth: Ruhepol einer Ruhelosen

Der Blick geht weit. Auch wenn man das an diesem trüben Wintertag nur erahnen kann. Ganz Dresden breitet sich unter der Terrasse dieses dreigeschossigen Hauses in Oberloschwitz aus – Stadtsilhouette samt Frauenkirche inklusive. Hier oben wohnt Frauke Roth. Einen Ruhepol nennt sie ihr Zuhause, einen Ort, an dem sie abseits des Trubels zur Ruhe kommen kann. Und Trubel gibt es im Leben der 50-Jährigen allerhand. Das hat nicht nur mit ihren drei Kindern zu tun, sondern vor allem mit dem Amt, das sie seit Januar 2015 offiziell bekleidet: Intendantin der Dresdner Philharmonie, als erste Frau überhaupt. Rumsitzen und Nichtstun ist ihre Sache nicht. Und so sortiert sie am Nachmittag unseres Besuches Fotos am großen Küchentisch. Dort kommen sie alle zusammen: die Söhne Simon und Caspar, die Tochter Lisa und Partner Markus Hoba. „So häufig wie möglich essen wir hier gemeinsam. Es ist der wichtigste Ort im Haus. Aber einfach losgemampft wird bei uns nicht. Vorher wird ein Tischgebet gesprochen“, erzählt Frauke Roth. Gut organisiert. So kann man diesen Haushalt wohl am besten beschreiben. Vor dreieinhalb Jahren ist die Familie von Potsdam an die Elbe gezogen – mit Kind, Kegel und Klavier. Musik, das ist nicht zu übersehen, spielt hier eine große Rolle: alle Kinder lernen ein Instrument und spielen in verschiedenen Ensembles. Das ist Frauke Roth wichtig. „Ein Instrument gibt einem sofort Feedback, das ist etwas sehr Ehrliches. So merken Kinder, dass nicht alles einfach ist und sofort flutscht. Für die Persönlichkeitsentwicklung ist das entscheidend.“ Aber nicht nur die Kinder sind musikalisch. Partner Markus Hoba ist Violinist in Rostock und Frauke Roth selbst absolvierte ein Studium der Querflöte, bevor sie vor nunmehr 17 Jahren die Seiten wechselte – statt auf der Bühne ist sie nun hinter den Kulissen tätig. Ein Job, der es in sich hat. 6 Uhr morgens klingelt der Wecker. „Dann mache ich, was alle Mütter früh machen: Brotboxen für meine Kinder packen. Und dann geht jeder seiner Wege.“ Ihr Weg führt sie ins Büro oder zu Terminen, zu Auftritten der Philharmonie oder anderen Künstlern, zu Einladungen und Treffen, die dem Netzwerk dienen. „Nachmittags nehme ich mir immer vor, eine Pause einzulegen. Aber das misslingt mir meist.“ Den Arbeitstag nach hinten klar zu begrenzen, ist selten möglich. Darauf müsse man sich einlassen können, sagt sie. Alle Artikel der DNN-Serie finden Sie im Special! Die rare gemeinsame Zeit mit der Familie wird deshalb sinnvoll genutzt. Gerade haben alle Plätzchen gebacken in der großen Küche mit Kochinsel – auch die Kinderfrau war mit dabei, ohne die der Alltag nicht zu stemmen wäre. Mittlerweile haben sich Lisa, Caspar und Simon eingelebt in Dresden. Das mache einem die Stadt leicht mit all den Sport- und Musikangeboten. Nur eines vermisst die Familie: das Haus in Potsdam, mitten im Grünen. „In Potsdam haben wir alles gemacht, was wichtig ist im Leben: ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt und ein Kind gezeugt. Es war unser Zuhause“, sagt Frauke Roth, die dort zuletzt zehn Jahre Chefin der Kammerakademie war. Nun ist das Haus vermietet, eine Rückkehr also nicht ausgeschlossen. Aber sicher nicht in allzu naher Zukunft, dafür sind die Räume in Oberloschwitz mit viel zu viel Liebe zum Detail eingerichtet. Jedes Accessoire hat seine Geschichte. Die Becher auf dem Klavier sind die Taufbecher der Kinder, das Bild über dem Schreibtisch ist ein Geschenk der Eltern, die Pyramide aus dem Erzgebirge gab es zur Geburt von Tochter Lisa, das Regal säumen Fotobücher von Urlauben und Geburtstagsfeiern. Und für eine Sache schlägt Frauke Roths Herz ganz besonders: Meißner Porzellan. Die Tassen, Teller und Kannen werden aber nicht hinter Schranktüren versteckt, sondern finden sich überall in der Wohnung und werden benutzt, „auch wenn man die per Hand abwaschen muss“. Geht dann doch mal etwas zu Bruch – bei Kindern im Alter von zehn, zwölf und 14 Jahren keine Seltenheit –, bleibt die 50-Jährige entspannt: „Über solche Sachen rege ich mich nicht auf. Dafür habe ich viel zu viel im Kopf.“ Die Profilierung der Philharmonie und den Erfolg des neu eröffneten Kulturpalastes etwa. Seit Anfang 2014 hat sie das Betreiber- und Bespielungskonzept erarbeitet. Eine Mischung aus Hochkultur und Unterhaltung ist dabei herausgekommen. Mit Erfolg. 190 000 Gäste konnte das Haus bisher begrüßen, die Auslastung ist sehr gut. „Alle Kalkulationen sind jetzt schon übertroffen“, sagt die Intendantin nicht ohne Stolz. Die Anstrengungen haben sich also gelohnt. „Wenn ich auf die vergangenen vier Jahre zurückblicke, bekomme ich ein wenig Gänsehaut. Ich habe die Stadt und die Menschen in Windeseile kennengelernt.“ Wirklich ruhiger ist es aber auch jetzt nicht geworden im Leben der 50-Jährigen. Zwar versucht sie, möglichst alle Arbeit im Büro zu erledigen. Der Schreibtisch im Wohnbereich zeugt aber vom Gegenteil. „Hier stapelt sich immer irgendetwas, was mit Konzerten oder den Kindern zu tun hat.“ Alles muss gleich erledigt werden, ein Verschieben auf morgen ist nicht drin. Das Tempo mal etwas rauszunehmen fällt ihr schwer. Diszipliniert bringt sie Arbeit und Familie unter einen Hut, schließlich sei es eine bewusste Entscheidung gewesen, Kinder zu bekommen. Das kommt nicht bei allen gut an. „Als Person mit Führungsanspruch bekommt man natürlich Kritik. Damit kann ich leben. Aber ich möchte nicht kritisiert werden, weil ich als Mutter auch berufstätig bin.“ Im Osten des Landes sei es aber einfacher, dafür verständnisvolle Ohren zu finden. Als Erfolgsmodell oder als Beispiel für andere möchte Frauke Roth ohnehin nicht gelten. „Ich kann es nur so machen, wie ich es eben mache.“ Möglicherweise hängt diese Leichtigkeit gerade mit dem Beruf zusammen: „Mein Job ist Luxus. Das, was ich produzieren muss, ist Kunst. Wenn das gelingt, gibt das unglaublich viel Energie. Natürlich ist das viel Arbeit. Aber andere zu unterhalten, ist ein großes Privileg.“ Und einen Entspannungsort hat sie mit ihrer Terrasse und dem Blick auf Dresden ja auch bereits gefunden. Von Christin Grödel

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