„Die Bewältigung der Krise darf nicht auf dem Rücken der kleinen Leute erfolgen“

Linke-Fraktionsvorsitzender André Schollbach warnt im DNN-Interview davor, nach der Bewältigung der Coronakrise die notwendigen Ausgaben mit einem Streichkonzert bei Sozialem, Jugendhilfe oder der Kultur zu finanzieren. Er fordert auch, den eingeschlagenen Weg zur Revitalisierung des Fernsehturms weiter zu beschreiten. Das tägliche DNN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Dresden täglich gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Frage: Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie? Mein Tagesablauf gestaltet sich gegenwärtig anders als üblich. Da die Kindergärten geschlossen sind, kümmere ich mich natürlich viel mehr um unsere Kinder. Anstelle von Gesetzestexten oder umfangreichen Stadtratsvorlagen steht dann die Lektüre von „Der kleine Drache Kokosnuss“ und „Der kleine Rabe Socke“ auf dem Programm. Auch die Handpuppen Krokodil und Kasper stehen derzeit hoch im Kurs. Daneben habe ich aber auch meine politischen und beruflichen Pflichten zu erfüllen. Wie ist Ihre berufliche Situation? Die Gerichte heben zwar aufgrund der Corona-Pandemie reihenweise Verhandlungstermine auf, mein Schreibtisch ist gleichwohl gut gefüllt. Mir ist aber sehr bewusst, dass viele andere Menschen derzeit existenzielle wirtschaftliche Sorgen haben und unter mancher schlafloser Nacht leiden. Wie gelingt es Ihnen, trotz Kontaktverbot politische Arbeit zu leisten? Die Stadträtinnen und Stadträte leisten einen Dienst an der Allgemeinheit. Ihnen kommt gerade in Krisenzeiten eine besondere Verantwortung zu, die sie wahrzunehmen haben. Krankenschwestern, Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Feuerwehrleute und Polizisten erbringen Tag für Tag ihren Dienst für unsere Gesellschaft. Auch die politisch Verantwortlichen haben jetzt ihre Aufgaben zu erfüllen. Dazu nutzen wir verstärkt die modernen Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation. Für zwingend durchzuführende Sitzungen gelten die gleichen Abstandsregeln wie im Supermarkt. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Stadtverwaltung? In der Stadtverwaltung wird unter Ausnahme-Bedingungen eine engagierte Arbeit geleistet. Dresden liegt bei den Corona-Infektionen je 100 000 Einwohner inzwischen unter dem Landesdurchschnitt. Und dies als Großstadt, in der viele Menschen auf engem Raum nah beieinander leben. Gerade in diesen Zeiten zeigt sich, dass es gut für Dresden ist, mit Frau Dr. Kaufmann eine sachliche, unaufgeregte und überlegt handelnde Gesundheitsbürgermeisterin zu haben. Sind die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor dem Virus angemessen? Das wird man seriös letztlich erst nach dem Ende der Corona-Krise beurteilen können, wenn die Wissenschaft das Geschehen genau untersucht und ausgewertet hat. Wenn wir aber die aktuelle Situation in Deutschland mit der in den USA oder Großbritannien vergleichen, wird deutlich, dass in jenen Ländern, in denen zunächst ein ignoranter Umgang mit dem Virus herrschte und die Gesundheit von Menschen als marktwirtschaftliches Handelsgut betrachtet wird, die Todesfälle drastisch zunehmen und das Gesundheitswesen regelrecht kollabiert. Was kann Politik in diesen Zeiten bewegen? Wir befinden uns weltweit in einer außergewöhnlichen Situation. Jetzt ist die Zeit des entschlossenen Handelns. Das Virus wartet schließlich nicht, bis langwierige parlamentarische Diskussionsprozesse abgeschlossen sind. Die von der Corona-Krise betroffenen Menschen benötigen unbürokratisch und zügig Unterstützung. Dazu können auch die vom Stadtrat mit großer Mehrheit beschlossenen Soforthilfen für Kleinstunternehmen, Selbstständige sowie Freiberuflerinnen und Freiberufler einen Beitrag leisten. Die hohe Zahl der hierfür in kurzer Zeit eingegangenen Anträge verdeutlicht den Ernst der Lage. Befürchten Sie, dass nach der Krise soziale Aspekte zu kurz kommen werden? Weil die Wirtschaft schnell hochgefahren werden soll? Die Krisenbewältigung darf nicht auf dem Rücken der kleinen Leute erfolgen. Es hätte fatale Konsequenzen, wenn jetzt notwendige Ausgaben später durch ein Streichkonzert bei Sozialem, Jugendhilfe oder der Kultur finanziert würden. Gerade diese Bereiche werden bei der Bewältigung der Folgen der Krise eine wichtige gesellschaftliche Funktion haben. Und deshalb: Wer verantwortlich handelt, der legt nicht die Axt an, wo mit nur wenigen Hieben ein großer und nachhaltiger Schaden angerichtet wird. Wie ist es mit Themen wie Energiewende oder Verkehrswende? Steht das noch im Fokus nach all den Auswirkungen der Krise, die zu beseitigen sind? Derzeit steht zweifelsohne die Bewältigung der dringlichen Herausforderungen durch die Corona-Krise im Mittelpunkt. Aber für das künftige Leben auf diesem Planeten sind eine gesunde Umwelt und eine Begrenzung der bedenklichen Klimaveränderungen von wesentlicher Bedeutung. Deshalb dürfen diese Themen nicht aus dem Blick geraten. Die Steuerausfälle werden verheerend sein. Was kann sich Dresden noch leisten? Dresden hat in den vergangenen Jahren mit den von Linken, Grünen und SPD getroffenen Haushaltsentscheidungen gut gewirtschaftet. In Schulen und Kindergärten sowie den Kulturpalast und das Kraftwerk Mitte wurde kräftig investiert. Zudem haben wir wichtige Impulse bei der Jugendhilfe und im Sozialbereich gesetzt. Und dies alles ohne Aufnahme von Krediten. Damit ist unsere Stadt finanziell solide aufgestellt. Die zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise würden jedoch die Kommunen überfordern. Deshalb benötigen wir einen wirksamen finanziellen Schutzschirm des Freistaates für die Städte und Gemeinden. Würden Sie den Grünen zustimmen, die den Fernsehturm auf Eis legen wollen? Beeindruckende 75 Prozent der Dresdnerinnen und Dresdner sprechen sich dafür aus, den Fernsehturm wieder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Daraus ergibt sich ein deutlicher Auftrag an die politisch Verantwortlichen. Bund, Land und Stadt haben inzwischen die erforderlichen Gelder für die Revitalisierung des Fernsehturms zugesagt und eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet. Wir sind dem Ziel, den Fernsehturm endlich aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken, näher als je zuvor. Der eingeschlagene Weg sollte jetzt nicht wieder zerredet werden. An welche Stellen würden Sie auf keinen Fall sparen? Wenn die erheblichen wirtschaftlichen Folgen der Krise überwunden werden sollen, wäre eine Politik des Sparens nicht nur nicht förderlich, sondern sogar kontraproduktiv. Ein derartiger Kurs drohte, die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen zu verstärken. Statt zu sparen, muss investiert werden. Ich halte es da ganz mit Keynes, einem der bedeutendsten Ökonomen. Schon nach der dramatischen Finanzkrise 2008 haben massive staatliche Investitionen dazu beigetragen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Welche Lehren muss Dresden aus der Krise ziehen? Um die gegenwärtige Krise meistern zu können, sind die Milliarden aus der Staatskasse allein nicht ausreichend. Ganz wesentlich sind auch von vielen Menschen gelebte Werte wie Solidarität, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und Gemeinschaftssinn. An diese Erfahrung sollten wir auch in der Nach-Corona-Zeit anknüpfen. Bei den Krankenhäusern muss vor allem die Gesundheit der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht, welche Operation sich wirtschaftlich rechnet. Hier ist ein generelles Umdenken im Gesundheitssystem erforderlich. Denn Gesundheit ist keine Ware. Corona hat Dresden im Griff. Die wichtigsten Texte und weitere Überblicksartikel zum Thema: Aktuelle Texte Corona-Beschlüsse: Was in Sachsen nach dem 20. 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