Der Alte Katholische Friedhof in Dresden: Geschichtsbuch aus Stein

Bestattet wird auf dem Alten Katholischen Friedhof in Dresden bis heute – so lange wie an keinem anderen Ort in der Stadt. Dass es ihn überhaupt gibt, verdankt Sachsens Landeshauptstadt Maria Josepha (1699-1757), der Tochter von Joseph I., des österreichischen Kaisers. August der Starke, also Kurfürst Friedrich August I., hatte die Habsburgerin als Gattin für seinen Sohn Friedrich August II. vor allem ausgesucht, weil er von der Kaiserkrone für einen seiner Nachfolger träumte. Mit ihrer resoluten Frömmigkeit hatte er, der mit seinem Übertritt zum Katholizismus im Kernland der Reformation schon genug Scherereien hatte, allerdings nicht gerechnet. Forderung nach einem katholischen Friedhof im Ehevertrag: Nach Dresden heiraten werde sie nur, wenn auch Sachsen sich wenigstens ein Stück dem Katholizismus öffne, ließ sie den Kurfürsten wissen. „Für ihn ein Schock“, wie Hobby-Historiker und Friedhofsführer Christoph Pötzsch erzählt. August fürchtete die Empörung der lutherischen Geistlichen, die eine „papistische Gegenreformation“ witterten. Doch die Forderung nach einem katholischen Friedhof hatte Maria Josepha vorsorglich in ihrem Ehevertrag festschreiben lassen. Da musste August durch. Zähneknirschend erteilte er im Juni 1721 die Genehmigung für das Areal in der heutigen Friedrichstadt – vor 300 Jahren. Im Sommer möchte das Bistum Dresden-Meißen daran erinnern, gern mit einem feierlichen Jubiläum. Was wegen Corona noch offen ist. Wert ist es dieser Ort, wo Böhmen, Rheinländer, Bayern, Italiener, Polen und Sachsen nebeneinander ruhen, allemal. „So ein Friedhof ist ein einziges Geschichtsbuch“, meint Christoph Pötzsch und tritt an eines der schönsten Grabmäler, das des Hofbildhauers Franz Seraph Pettrich (1770-1844). Sein Leben ist voller Tragödien: die Ehegattin früh verloren, wenig später seine zweite Frau, sein talentierter Sohn verließ ihn. Sein Schmerz scheint sich im „schlafenden Mädchen“ nach Ruhe zu sehnen, einem Schmuckstück des Klassizismus. Gleich daneben ragt der Grabstein des Malers Giovanni Battista Casanova auf, im 18. Jahrhundert Mitbegründer der Dresdner Kunstakademie. „Manche Besucher verwechseln ihn mit dem Frauenhelden“, sagt Pötzsch. Der hier sei aber dessen jüngerer Bruder. Lesen Sie auch: Dresdens Friedhöfe: Hier liegen prominente Persönlichkeiten begraben Kurz bleibt der Geschichtskundige an der letzten Ruhestätte des Priesters Johann Christian Götze stehen, der 1739 in einer Wiener Buchhandlung die berühmte Maya-Handschrift aus dem 13. Jahrhundert erwarb und nach Dresden brachte. Pötzsch macht bei dem 1820 ermordeten Maler Gerhard von Kügelgen Station, dessen Stein restauriert werden konnte, weil ihn Caspar David Friedrich auf einem Gemälde verewigte. Dann erreicht er das berühmteste Grabmal, das des Komponisten Carl Maria von Weber (1786-1826), der ja 1826 in London an der Schwindsucht starb. Volkspolizisten bewachten die Überreste von Weber: Doch Richard Wagner ließ den Leichnam 1844 nach Dresden überführen und hielt ihm eine nachträgliche Totenrede, hier, an der Familiengruft, die Gottfried Semper entwarf. Christoph Pötzsch, nie um eine Anekdote verlegen, berichtet, wie in den 1970er Jahren Webers Grab restauriert wurde. Dessen sterbliche Überreste mussten einige Zeit in der Friedhofshalle lagern. „Volkspolizisten bewachten sie rund um die Uhr – auf einem katholischen Friedhof.“ Er zeigt auf einen Namen, der darunter in den Sandstein gemeißelt ist: Max Maria von Weber (1822-1881). Diesen sächsischen Eisenbahndirektor dürften die wenigsten kennen. Aber jeder die rot-weiße Schranke und die rote Mütze der Aufsichtsbeamten. „Die hat er erfunden. Deshalb heißt sie bis heute ‚Webermütze’.“ Neben Balthasar Permoser (1651-1732) läge mancher gern. Deshalb sind alle Grabstellen um die des selbstbewussten, aus Oberbayern stammenden Hofbildhauers und eigensinnigen Bartträgers längst vergeben, wie Simone Hückel sagt, Friedhofsleiterin seit 2015. In den letzten Jahren errichtete Stelen erinnern an den böhmischen Barockkomponisten Jan Dismas Zelenka, den komponierenden Lautenisten Sylvius Leopold Weiß und den italienischen Bildhauer Lorenzo Mattielli, der die Statuen auf der Katholischen Hofkirche schuf. Verluste aus historischer Gedankenlosigkeit: „Aufgrund offenbarer historischer Gedankenlosigkeit sind in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele historische Gräber eingeebnet worden“, sagt Pötzsch. „Das lässt uns keine Ruhe. Seit etwa 20 Jahren versuchen wir, diese Grabstellen wieder zu errichten, wenigstens symbolisch.“ Vor allem mit seinen Führungen sammelt er Spenden dafür. So erinnern neuere Steine auch an den Musikwissenschaftler Moritz Fürstenau oder den Bildhauer Ernst Julius Hähnel. Hinzu kommen soll in diesem Jahr ein Gedenkstein für den Jesuitenpater Ignatius (Ignaz) Guarini, den Beichtvater von Kurfürst Friedrich August II. und dessen frommer Gattin Maria Josepha, der die Heiligen auf der Hofkirche auswählte und ordnete, ehe Mattielli sie in Sandstein gestaltete. Guarini hätte es bitter nötig, wie Pötzsch erzählt. Habe ihn doch der DDR-Fernsehfilm „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ (1985/1987) nach den drei Romanen des Polen Józef Ignacy Kraszewski bis zur Unkenntlichkeit verzerrt – „als fiesen Intriganten“. Wer einen der zahlreichen historischen Steine erhalten möchte, könne mit einer dafür hinreichenden Spende die Grabpatenschaft übernehmen und sich dort bestatten lassen, sagt Pötzsch. Er selbst will sich dem Historiker, Philosophen und Schriftsteller Friedrich Schlegel (1772-1829) beigesellen lassen. Aber ausreichend Platz sei auch für jeden anderen, der hier nach dem Tod in einem gewöhnlichen Grab oder Gemeinschaftsanlage ruhen möchte, sagt Simone Hückel. „Manche fragen mich: ‚Darf ich denn das auch als evangelischer Christ oder Konfessionsloser?’ Ja, man darf.“ Internet: https://friedhoefe-dresden.de Von Tomas Gärtner