Cybermobbing: Wie die Tortur einer 14-jährigen Dresdnerin nach einer Gewalttat weitergeht

Zwei Stunden wird die 14-Jährige auf der Toilette eines Restaurants in der Dresdner Altstadt festgehalten. Sie wird geschlagen, gewürgt, erniedrigt. Sie wird gezwungen, sich auszuziehen, eine Slipeinlage zu essen. Die Täter: zwei 13-jährige Mädchen, die ihre Missbrauchshandlungen in kurzen Videos festhalten. Dort ist das klatschende Geräusch von Schlägen zu hören und die Schmerzensschreie von Anna*, ihrem Opfer. Erst als der Freund einer der Täterinnen hinzukommt, endet Annas Tortur. Vorerst. Denn die Videos kommen in Umlauf – auch im Bekanntenkreis der 14-Jährigen, in ihrer Schulklasse, unter ihren Instagramfreunden. Auch nach der Tat wird Anna weiter gequält – durch Cybermobbing. Dies ist kein Bericht über die polizeiliche Arbeit nach dieser schwer vorstellbaren Gewalttat. Zumal die Polizei sehr schmallippig auf Nachfragen dazu reagiert. Nur so viel will ein Sprecher sagen: „Es ist der schwerste Fall dieser Art in Dresden.“ Da die beiden Täterinnen nicht strafmündig und genauso wie das Opfer minderjährig sind, rät er von einem Aufgreifen des Falls in der Berichterstattung ab. „Ich heule viel, es geht nicht anders“: Wir haben uns dennoch dafür entschieden, das Thema aufzugreifen. Vor allem, weil sich diese Frage aufdrängt: Wie kommt Anna nach diesem schweren Übergriffen von Anfang des Jahres zu einem normalen Leben zurück, wenn ihr immer wieder Bilder des Vorfalls begegnen? Diese Frage treibt auch Annas Mutter um. Die Schreie ihrer Tochter, die sie in einem Beweisvideo gehört hat, verfolgen sie bis in den Schlaf. „Ich heule viel, es geht nicht anders“, sagte sie wenige Tage nach der Tat. Und Anna? Die kam in ihrer Wohngruppe nicht mehr klar. Lach- und Heulkrämpfe wechselten sich ab, berichtete eine Betreuerin. Die 14-Jährige habe sehr unruhig geschlafen. Kurzfristige Besserung habe auch die sofort arrangierte psychologische Betreuung nicht gebracht. Mobbing an der Schule: Annas Mutter zog Konsequenzen. Sie hat ihre Tochter zu sich in die Wohnung genommen. Zum Schutz des Mädchens sollen die familiären Verhältnisse hier nicht detaillierter dargestellt werden. „Bei mir schläft sie ganz ruhig“, sagte sie kurz darauf. Da hatte sie auch schon einen Schulwechsel arrangiert, der Anna einen Neustart ermöglichen sollte. Der wird allerdings von Jens Goebel, einem Experten für Prävention vom Landeskriminalamt, nicht empfohlen. Vor allem weil er das falsche Signal sende: Das Opfer geht – was Mobbingtäter oft als Erfolg empfinden. Über das Portal juuuport.de bieten Gleichaltrige Hilfe im Internet an. Unter der Adresse jugend.support gibt es neben Cybermobbing auch Hilfe zu anderen mit dem Internet verbundenen Problemen. Die Seite medienbildung.sachsen.de thematisiert Medienpädagogik. Annas Mutter sah allerdings keinen anderen Ausweg. Zumal sie der Direktorin der alten Schule schwere Vorwürfe macht. Den Misshandlungen ihrer Tochter sei Mobbing an der Schule vorangegangen – ohne dass die Schulsozialarbeit darauf angemessen reagiert hätte. Anlass für das Mobbing sei eine verschmähte Liebe gewesen. Anna sei dadurch zur Außenseiterin geworden. „Sie wollte nicht mehr zur Schule, war sehr oft krank“, erinnert sich die Mutter an diese Zeit. „Das war doch ein abgekartetes Spiel“: Die Direktorin von Annas alter Schule weist jeden Vorwurf der Untätigkeit von sich. Der Schulsozialarbeiter habe mit Anna gesprochen und diese aufgefordert, in einem Tagebuch eine Woche lang alle Mobbingvorfälle aufzuschreiben – das übliche Prozedere bei derartigen Vorwürfen. Das Tagebuch habe er mit der 14-Jährigen ausgewertet und sei zu dem Schluss gekommen, dass kein Mobbing vorlag. Mit Anna und dem Mädchen, dem diese die meisten Hänseleien zuschreibt, habe er ein Gespräch arrangiert. „Die beiden haben sich am Ende umarmt, die Sache war geklärt“, sagt die Schulleiterin. Sie fühlt sich auch bestätigt, weil die beiden Täterinnen nicht Schüler ihrer Schule sind. „Das war doch ein abgekartetes Spiel“, sagt Annas Mutter dazu und verweist auf Freundeskreise, die Schüler der Schule und die Täterinnen vereinen. Sie sieht auch die Schulleiterin in der Pflicht, die Videos von Annas Missbrauch aus dem Verkehr zu ziehen. „Wir sind keine Ermittlungsbehörde“, kontert die Direktorin. Lehrer könnten erst handeln, wenn sie Zeuge werden, wie strafrechtlich relevantes Material abgespielt werde. Bloßes Hörensagen über die Existenz von Missbrauchvideos genüge nicht, das Filzen von Handys sei nicht möglich. Eine konkrete Angst bleibt: Stattdessen setze die Schule auf regelmäßig in verschiedenen Klassenstufen stattfindende Medienschulungen. Und sei im Übrigen auf die Mitwirkung der Eltern angewiesen. Diese müssten die Mediennutzung ihrer Kinder stärker kontrollieren. Das ist eine Haltung, die der LKA-Fachmann Jens Goebel kritisiert. Er findet, dass Eltern in Sachen Medienpädagogik zu sehr allein gelassen werden und Schulen viel mehr auf diesem Feld leisten müssten – vor allem, indem sie entsprechende Strukturen aufbauen. Anna kann diese Debatte um Kompetenzen und Rollenverteilungen nicht helfen. Sie muss jetzt damit umgehen, dass viele schlimmstenfalls als Grauzone begreifen, was ganz klar eine Straftat ist: den Besitz und die Verbreitung der Missbrauchvideos. Sie hat einen Weg gefunden, der derzeit der beste zu sein scheint: Sie hat ihren Instagram-Account gelöscht und sich eine neue Handynummer besorgt. An der neuen Schule baut sie sich einen Freundeskreis auf. „Es geht ihr jetzt viel besser“, sagt ihre Mutter, die aber auch weiß, dass Anna Probleme ziemlich gut überspielen kann. Es bleibt eine konkrete Angst: Dass die Videos irgendwann an der neuen Schule auftauchen. Dann kommt es dort darauf an, dass Anna von Lehrern, Eltern und Ermittlern nicht damit allein gelassen wird. Sonst beginnt alles von vorn. *Name geändert. Alle im Text vorkommenden Personen und Orte sind der Redaktion bekannt und wurden anonymisiert, um Annas wirkliche Identität zu schützen. Lesen Sie auch: Wann wird Lästern zu Mobbing? Was sind die Anzeichen für Mobbing bei Kindern? Von Uwe Hofmann und Lisa-Marie Leuteritz

Cybermobbing - Wie die Tortur einer 14-jährigen Dresdnerin nach einer Gewalttat weitergeht