Freiwillige rücken in Dresden dem Müll zu Leibe

An diesem Sonnabend gibt es gleich mehrere große Müllsammelaktionen in Dresden. Im Rahmen des World Cleanup Day laden ab 10 Uhr das Ökumenische Informationszentrum (am Blauen Wunder) und die Pfadfinder (an der Lukaskirche) dazu ein, in der Stadt achtlos weggeworfenen Müll aufzusammeln. Beim International Coast Cleanup Day (ICC), der vom Naturschutzbund (Nabu) am selben Tag gemeinsam mit Greenpeace sowie den Initiativen „Wir lieben Elbe“ und „Pinke Hände“ organisiert wird, ist um 10 Uhr Treffpunkt am Königsufer. Der World Cleanup Day (auf deutsch Weltaufräumtag), ist ein weltweiter Aktionstag, bei dem die Umwelt von Müll befreit werden soll. Im vergangenen Jahr haben sich mehr als 20 Millionen Menschen in 180 Ländern daran beteiligt. Auch in Deutschland befreien zahlreiche Initiativen an diesem Tag, der auf den dritten Sonnabend im September fällt, Straßen, Parks, Strände, Wälder, Flüsse, Flussufer und Küsten von achtlos beseitigtem Abfall und Plastikmüll. Projekt in Dresden: Jeden Tag Müll wegräumen: Einer, der 2014 daran mitgewirkt hat, den ICC nach Dresden zu holen, ist Rainer Pietrusky. Er wird aber am Sonnabend nicht mit von der Partie sein, denn inzwischen betreut er eine Freiwilligentruppe, die fast jeden Tag in Dresden Unrat beseitigt oder beim Aufräumen hilft – dreimal pro Woche im Alaunpark, an anderen Tagen im Zoo, im Ostragehege oder auf den Elbwiesen von Kleinzschachwitz bis zur Albertbrücke. Rainer Pietrusky hilft Menschen die ganz unten angekommen sind: Die Freiwilligen sind Leute, die in der Gesellschaft ganz unten angekommen sind. Sie sind zum Teil alkohol- oder drogenabhängig. Andere sind wohnungslos oder leisten beim Müllsammeln und Aufräumen Sozialstunden ab, zu denen sie verurteilt wurden. „Chancen für die Chancenlosen“ hat Pietrusky sein Projekt genann t. Dass es nicht möglich sein wird, allen von ihnen zu helfen, weiß er. Er habe auch immer um die zehn Vereinbarungen mit Leuten in der Tasche, die dann doch nicht kommen. Diejenigen, die mitmachen, seien aber oft sehr zuverlässig und nutzten ihre Chance. „Ich hätte am Anfang nicht gedacht“, sagt er, „dass das Projekt so gut laufen würde.“ Dass es von manchen in die Nähe von Schwarzarbeit gerückt wird, hält er für abwegig. Sein Trupp schnappe niemandem Aufträge weg. „Wir finden die Orte, an denen wir Müll beseitigen, in der Regel selbst“, sagt er. Die Stadtbezirksbeiräte Altstadt und Neustadt unterstützen das Projekt zudem nicht nur mit Geld, sondern auch mit dem einen oder anderen Tipp aus der „Dreck-weg-App“ der Stadt. Die Leute erfahren Wertschätzung, die ihnen abhanden gekommen ist: Manchmal, wie im Zoo, wo die Truppe im vergangenen Herbst bei der Laubberäumung geholfen hat, seitdem regelmäßig vorbeikommt und wo sie am Donnerstag beim Aufräumen hinterm Pinguinhaus im Einsatz war, wünscht man sich, dass sie öfter kommen. Mehr feste Plätze wären auch wichtig, sagt Pietrusky. Die ständigen Ortswechsel fielen seinen Schützlingen – die ihn auch manchmal „Ersatzpapa“ nennen, nicht leicht. Dass es nach getaner Arbeit auch mal Anerkennung und hin und wieder sogar die Einladung zum Kaffee gibt, habe auch noch einen wichtigen Nebeneffekt: „Die Leute erfahren wieder etwas, das ihnen im Leben abhanden gekommen ist: Wertschätzung.“ Seit über 30 Jahren ruft die US-Umweltorganisation Ocean Conservancy zur größten freiwilligen Meeresschutzaktion auf – dem International Coastal Cleanup Day (auf deutsch Internationaler Küstenputztag), um auf die Problematik der vermüllten Meere aufmerksam zu machen. Dieses Jahr fällt der Küstenputztag auf den 19. September. Der NABU hat gemeinsam mit dem Verband Deutscher Sporttaucher (VDST), dem Deutschen Kanu-Verband, dem Deutschen Segler-Verband und dem Deutschen Ruderverband, dazu aufgerufen, bundesweit Aktionen zu bündeln, gemeinsam zu kommunizieren und auf die Gefahren von Müll im Meer aufmerksam zu machen. Viel Müll im Alaunpark, alte Fernseher im Ostragehege: Die spüren auch Sandra und Michael*, die zusammen leben und nicht ganz unverschuldet zurzeit mit nur einem Hartz-IV-Satz auskommen müssen. „Die Arbeit hier gibt meinem Tagesablauf wieder Struktur und sie macht Spaß“, sagt Michael. Sandra erzählt, es sei kaum zu glauben, wie viel Müll sich immer wieder im Alaunpark ansammelt. „Zum Glück steht da der Markt davor“, sagt sie, „da sieht man es nicht so.“ Auch Pietrusky ist beeindruckt davon, was er und sein Trupp immer wieder zu sehen bekommen. Er hat kein Verständnis für Leute, die zum Beispiel einen alten Fernseher im Ostragehege entsorgen: „Den dorthin zu schaffen, ist doch genauso aufwendig, wie ihn in den Wertstoffhof zu bringen.“ Und er weiß auch Kurioses zu berichten: „Im Alaunpark finden wir fast jede Woche zweimal einen Schlüsselbund.“ Durch Aushänge will er die Besitzer finden. Klappt das nicht, gehen die Schlüssel ins Fundbüro. Unterstützung durch Stadtbezirksbeiräte ermöglicht Arbeit mit zehn Freiwilligen: Mit dem Budget, das die Stadtbezirksbeiräte Altstadt und Neustadt seinem Projekt bewilligt haben, kann Pietrusky 1,75 Euro Stundenlohn an zehn Freiwillige zahlen, wegen der Coronapause für den Rest dieses Jahres sogar an 18. Für vier Stunden Arbeit pro Tag. „Mehr schaffen die meisten sowieso nicht“, sagt er. Mit 35 Euro pro Woche kann man keine großen Sprünge machen. „Aber ich habe auch schon für weniger gearbeitet“, sagt einer aus der Truppe. Antrag für die „Aktion Mensch“ soll Finanzierung sichern: Ob der Stadthaushalt nach Corona die Stadtbezirke weiter so ausstattet, dass sein Projekt unterstützt werden kann, ist nicht sicher. Deshalb plant Pietrusky einen Antrag bei der „Aktion Mensch“. Ich hoffe, wir erfüllen die Förderkriterien“, sagt er. Dann könnte er es mit zehn Leuten für drei bis fünf Jahre weiterführen. Er weiß, dass der Bedarf viel höher ist, auch in anderen Stadtbezirken, ist aber skeptisch, ob die guten Erfahrungen damit doch noch zu einem Umdenken an manchen Stellen und mehr Unterstützung führen werden. *Name von der Redaktion geändert Lesen Sie auch Dresden: Integrationsprojekt mit rund 40.000 Euro gefördert – Hilfe kommt nicht nur Asylbewerbern zugute Von Holger Grigutsch

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