Ausstellung JA, Vernissage NEIN – Zur Lage des Kunsthandels während des Shut-Down

K/Corona. Mit K geschrieben, ist es der aus dünnem, heißem Gas bestehende, bei Sonnenfinsternis sichtbare Strahlenkranz um die Sonne. Ein ästhetisches Fest. Mit einem C am Anfang des Wortes schreibt sich eine mal mehr und mal weniger populäre Biermarke. Sie sorgt auf jeden Fall für Spaß. Das seit Wochen allgegenwärtige orona mit C allerdings verdirbt das good feeling gewaltig. Ästhetik und Freude sind zwei wichtige Bestandteile in der Arbeit von Kunstgalerien. Lässt sich beides nicht vermitteln, wird man nur selten einen Verkaufserfolg erzielen. „Ich weiß nicht, ob ich darf ...“: Von allen erwartet, gab die Bundesregierung am 15. April Lockerungen in den bis dato angeordneten Beschränkungen bekannt. Geschäfte bis zu einer Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern dürfen wieder öffnen. In der Kunstszene sorgte ein Passus für Verwirrung, nach dem „Theater, Opern, Konzerthäuser, Museen, Galerien … „ weiterhin geschlossen bleiben sollen. „Machst du wieder auf?“ „Sag du es mir, ich weiß doch gar nicht, ob ich darf. Ich befinde mich in einer Grauzone. Denn eigentlich betreibe ich doch ein kleines MoMA, eine Therapieeinrichtung, ein inszeniertes Theater“, unkt Holger John am Telefon. „Ja, ich habe mich sehr gefreut. Angela Hampel hatte mich sofort angerufen, aber es war dann doch nur eine Ente. Ich bin eine kulturelle Einrichtung, und darf noch nicht aufmachen“, meint Karin Weber von der Dresdner Galerie Mitte. „Wir hoffen sehr, dass wir öffnen dürfen, wissen es aber nicht genau. Wir haben eben eine Anfrage an das Ministerium gestellt“, lässt die Galerie Gebr. Lehmann verlauten. Das tägliche DNN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Dresden täglich gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Die gute Nachricht: Private Galerien dürfen öffnen. Wie Kristian Jarmuschek, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Deutscher Galerien (BVDG) gegenüber der Kunstzeitschrift Monopol erklärte, hielt er Rücksprache mit der Bundespolitik und ließ sich bestätigen, dass in o.g. Aufzählung institutionelle Galerien gemeint wären. Entscheidend für eine Öffnung sei die steuerliche Veranlagung. Die schlechte Nachricht für Künstler, Galerien und ihr Publikum brachte die Galerie Weise aus Chemnitz in ihrem Mailing auf den Punkt: „Ausstellung JA. Vernissage NEIN“. Kontakt als Dreh- und Angelpunkt der Arbeit: Eröffnungsveranstaltungen sind für Galerien von existentieller Bedeutung. Dort treffen sich alle Player des Kunstmarktes zwischen Künstler und Konsument, privaten und öffentlichen Akteuren, man erfährt von geplanten Projekten und kann an Schnittstellen perspektivisch andocken. Michael Böhlitz von der Galerie Himmel sieht den Charakter dieses „gesellschaftlichen Ereignisses nicht ersetzbar … Gerade der jetzt unerwünschte Kontakt ist Dreh- und Angelpunkt unserer Arbeit“. Nur selten kommen Kunden in eine Galerie, weil sie ein Bild passend zu ihrem neuen Sofa brauchen. Kunst ist mehr als nur ein Lückenfüller an der Wand. Kunst ist ein Statement und ein Lebensgefühl. Auf Vernissagen fühlen sich potentielle Kunden durch das Interesse anderer Besucher in ihrer Meinung bestärkt, unterhalten sich über Kunst und Künstler und holen sich final noch zahlreiche Informationen beim Galeristen. Denn dieser ist in seiner Hauptfunktion ein Vermittler von Kunst. Und ein guter Galerist verkauft nicht kommentarlos ein Kunstwerk, sondern packt einen großen Kosmos an Kontexten und einen Sack voll Anregungen noch obenauf. Galerien haben eine schlanke Struktur. Außer den im überregionalen Feuilleton gern bedachten „Blue-Chip-Galerien“ arbeiten Galeristen oft selbstausbeutend in prekären Situationen alleine bzw. mit nur wenigen Mitarbeitern. Bundesweit werden jährlich 4000 Ausstellungen bei freiem Eintritt durch die Galerien auf eigenes wirtschaftliches Risiko organisiert. Rund 50 Prozent der deutschen Galerien erwirtschaften einen jährlichen Umsatz zwischen 50 000 und 200 000 Euro, nur 14 Prozent erzielen mehr. Was nach viel klingt, schmilzt nach Kosten und Abgabe des Künstleranteils schnell zusammen. Während der umsatzlosen Schließwochen liefen fixe Unterhaltskosten wie Miete und Nebenkosten, Versicherungen, Lagerkosten, Abschlagszahlungen, Gebühren für Datenbanken und Buchhaltung weiter. Doch Galerien sind nur ein Glied einer Kette namens Kunstbetrieb. Fällt eins weg, spüren das nicht nur Künstler und Kunden, sondern auch Webdesigner, Grafiker, Fotografen, Transportunternehmen, Fachjournalisten, Druckereien … Kunst ohne Erleben macht den Verkauf schwierig: Viele Galerien haben jetzt erhöhte Werbekosten zu verbuchen, da sie einen Online-Shop aufbauen. Galerien wie der international agierende David Zwirner setzten schon vor Jahren auf Online-Viewing-Rooms und verzeichneten darüber einen rasanten Absatzanstieg. Auch hier verzerren die Blue-Chip-Galerien das Bild. „Unser Online-Shop … ist noch zu jung, als dass er richtig läuft“, resümiert Sophia-Therese Schmidt-Kühl. Kürzlich schrieb Lydia Hempel in den DNN: „Die Seh- und Betrachterposition am Bildschirm ist eine andere als die physisch mobile in einem Ausstellungsraum … (Es) fehlt der entsprechende Arbeitsvorlauf der konzeptionellen mediengerechten Entwicklung der Form als dem Kunstobjekt und der Art seines Gesehenwerdens immanente und bewusst getroffene Entscheidung“. „Wenn man Kunst nicht erleben kann, wird ein Verkauf schwierig“, ist auch eine Erfahrung der Kunstausstellung Kühl. Der persönliche Kontakt ist entscheidend. Eine Abbildung ist nur so groß wie das Display. Selbst wenn die Werkgröße angegeben ist, ist der Eindruck verfälschend. Und wie soll man dreidimensionale Arbeiten im Netz authentisch präsentieren? In der Galerie Mitte hat man ein Ausstellungsvideo gedreht, es aber nicht online gestellt, da dessen Qualität den professionellen Ansprüche nicht genügte. Karin Weber hat Soforthilfe beantragt. Die Eingangsbestätigung Ende März ist allerdings das einzige, was die Galeristin bisher erhalten hat. Der BVDG hat das leidige Thema der Mehrwertsteuer wieder ins Gespräch gebracht und hofft auf eine „substanzsichernde Lenkungsmaßnahme mit dem Ziel einer indirekten, langfristigen Förderung der Galerien“. Kunst steht nicht ganz vorn in der Nahrungskette: 2014 wurde dem Kunsthandel als einzigen kulturellen Wirtschaftszweig der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent entzogen. Damit gerieten deutsche Galerien im internationalen Wettbewerb und auf Messen ins Hintertreffen, meint Jörg Gödecke von der Galerie Gebr. Lehmann. Michael Böhlitz würde in der Korrektur der Abgabesteuer eine „Wertschätzung der Arbeit mit Kunst“ sehen. Die aktuelle Krise wird Veränderungen im Kunstmarkt mit sich bringen, quantitativ wie qualitativ. Die Galerien in Dresden kämpfen darum, dass die hier ohnehin überschaubare Landschaft nicht verschwindet. Einige signalisierten, noch wenige Monate durchhalten zu können, dann sind Rücklagen oder Zuwendungen von Freunden und langjährigen Kunden aufgebraucht. Möglicherweise wird der eine oder andere das Handtuch werfen. Gut 80 Prozent der Berliner Galeristen würden ihren Beruf nicht erneut ergreifen, ergab eine Umfrage im Herbst 2019. Aber in schwierigen Zeiten entsteht auch oft gute Kunst. Was die Zukunft bringt, wagt keiner zu spekulieren. Denn selbst wenn die Läden wieder öffnen und etwas Normalität im Alltag zu spüren ist, fehlen die überregionalen Kunden, Messen und andere Kommunikations- und Verkaufsplattformen. Die große Verunsicherung wird noch lange anhalten und die Erlöse, sollten überhaupt welche erzielt werden, deutlich schmälern. Holger John konstatiert: „Kunst steht nicht ganz vorn in der Nahrungskette der Gesellschaft, wird aber immer gebraucht und vor allem gerne benutzt, wenn es passt. Im Moment gibt es eher kalten Kaffee“. P.s. Nach wie vor herrscht allerdings Verunsicherung unter den Galerien über die bei einer Öffnung einzuhaltenden Bedingungen. Daher ist es in der nächsten Zeit ratsam, vor einem geplanten Galeriebesuch sich dort telefonisch anzumelden. Corona hat Dresden im Griff. Die wichtigsten Texte und weitere Überblicksartikel zum Thema: Aktuelle Texte Dresden verteilt ab Montag Mundschutz Redaktioneller Fehler in der Allgemeinverfügung: Getränkeverkauf bleibt erlaubt Corona-Proteste im Großen Garten Zufall oder Schicksal – Corona bringt Dresdner Pärchen zusammen André Schollbach: „Die Bewältigung der Krise darf nicht auf dem Rücken der kleinen Leute erfolgen“ Corona-Beschlüsse: Was in Sachsen nach dem 20. 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