Annekatrin und James Schmidt: Kunst, Kinder, Kater und ein Hund

Das Haus behauptet sich standhaft zwischen zwei belebten, großen Straßen. Unaufdringlich, aber selbstbewusst. Anders als zu seiner Erbauungszeit, als weit und breit kein Nachbar existierte und kaum mal eine Postkutsche vorbei kam, rauscht heute erheblich viel Verkehr vorüber. An der zur Bautzner Straße gelegenen Schauseite tönt es oft lautstark. Für ein Balkonfrühstück wohl eher nicht der geeignete Platz. Die Rückfront dagegen hält durch einen Garten angemessenen Abstand zur Radeberger Straße und lädt zum Betreten des denkmalgeschützten Gebäudes ein. Gibt es am Postplatz jetzt „Das Lebendige Haus“, so trifft diese Bezeichnung ohne Frage hier gleichfalls zu. Kinder, Kunden, Mitarbeiter, Familie, Freunde sind willkommen. Wir befinden uns im Preußischen Viertel in Dresden bei Annekathrin und James Schmidt. Das Ehepaar hat in der Bautzner Straße 99 ein Kunstauktionshaus etabliert, lebt zugleich darin auf ungezwungene Art und Weise, arbeitet im und am Haus. Eigentlich permanent, bringt aber dennoch das Kunststück fertig, Normalität und Freude am Tun zu vermitteln. Daran haben nicht zuletzt die fünf Kinder ihren Anteil. Clara (11), die Zwillinge Magdalena und Jacob (10), Elisabeth (8) und Louisa (3) teilen sich den Wohnbereich in der ersten Etage noch mit dem freundlichen Cockerspaniel Caspar und den zwei Katern (Rasse Maine-Coon) Nepomuk und Balthasar. Schöner kann ein Denkmal nicht belebt werden. Die einstige „Rattenburg“ hat dieses Image längst abgestreift, auch wenn der Restaurierungs-, ja Rettungsweg beschwerlich war und keinesfalls zu Ende ist. Was das bedeutet und wie es überhaupt dazu kam, soll jetzt erzählt werden. Fangen wir ganz vorn an. Annekathrin war knapp 17, als sie am Gymnasium in Pirna James Schmidt kennenlernte. Sie blieben zusammen, auch während der Zeit ihres Studiums; sie Kunstgeschichte, er Architektur. Die angehende Kunsthistorikerin absolvierte einige Semester in der Normandie und wusste bereits dort, sie will einmal im Kunsthandel tätig werden. Um sein Englisch zu verbessern, ging das junge Paar nach der Studienzeit gemeinsam zum Arbeiten nach Australien; sie in einem Auktionshaus, er in einem Architekturbüro. Geplant war ein einjähriger Aufenthalt. Er fiel jedoch etwas kürzer aus, weil sie lieber das weitere Leben zu Hause planen wollten. Alle Artikel der DNN-Serie finden Sie im Special! Zurück in Dresden, sammelten die beiden in ihren Fachrichtungen zunächst Erfahrungen in anderen Unternehmen, bis 2004 die Geburtsstunde ihres eigenen Auktionshauses schlug. Adresse: Bautzner Straße 6, Innenhof. Die Räume – heute ist der Musikladen Opus 61 darin zu finden – entpuppten sich bald als zu klein für das Geschäft mit der Kunst und dem Kunsthandwerk vergangener Zeiten. Wenn schon investieren, dann gleich in etwas eigenes, war sich das Paar einig. Aber wo fündig werden? Annekathrin Schmidt genügte bei der Suche schließlich der Blick aus dem Fenster ihrer Wohnung. Er fiel auf ein Gebäude, das zum Verkauf stand. Ziemlich marode, eigentlich eine Ruine… „Zum Glück haben wir nicht gewusst, was auf uns zukommt“, sagt sie heute, als Mut und Phantasie und die Begeisterung für ein Baudenkmal die Oberhand behielten. „Burg Rattenstein“, so hatten es Hausbesetzer an die Flurwand geschrieben, erfuhr ab Ende 2010 schrittweise seine Wiederbelebung und wurde 2013 noch etwas provisorisch Schmidts Zuhause. Wasser- und Frostschäden, Brandspuren, Hausschwamm konnten den Architekten James Schmidt nicht schrecken. Nachdem zwei Gutachten grünes Licht gaben, legte er als eigene Baufirma mit wenigen Mitarbeitern los und wo es nottat, auch selbst Hand an. So hält er es bis heute. Denn die Vollendung steht noch aus. Was manchen Eigentümer vielleicht verzweifeln lässt, tut – wie es scheint – der Ruhe und dem Optimismus des Hausherrn keinen Abbruch. Seine Metallbauwerkstatt im Keller und die Holzwerkstatt unterm Dach werden gut genutzt. Der Innenausbau muss weiter gehen, auch Außenwandelemente oder Geländer fehlen. „Wir haben aufwändiger und gründlicher saniert, als anfangs gedacht“, erklärt James Schmidt beim Rundgang durchs Haus. Terminplanungen, die mal gemacht wurden, sind lange über Bord geworfen. Jetzt wird fertig, wie es wird, ohne Druck, dafür gut und nah am Original. Das Auktionsgeschäft und die entsprechenden Räume in Keller (Ausstellung, Lager) und Erdgeschoss haben immer Vorrang, betont die Kunsthistorikerin Annekathrin Schmidt, wichtige Säule des Unternehmens. Aber sie ist auch Hausfrau und Mutter – und typisch für die meisten Frauen, wollte sie den Privatbereich am liebsten unter Verschluss halten, weil er noch nicht ihren Vorstellungen entspricht. Jeder, der baut oder saniert, weiß, dass dabei viele Hürden lauern (ganz zu schweigen von den offiziellen Dauergroßprojekten). Ob der Bauherr anno 1857 ähnliche Erfahrungen machen musste, ist nicht bekannt. Damals ließ sich der Apotheker Ernst Ludwig Opitz auf freiem, in Parzellen aufgeteiltem Areal ein Landhaus errichten. Erst etwa eineinhalb Jahre später kamen in der Gegend weitere Wohngebäude hinzu. Als Architekt wird Hermann Nicolai vermutet. Nach der Jahrhundertwende erhielt das Haus einige Veränderungen, so zum Beispiel eine hölzerne Veranda. Heute ist sie im Obergeschoss in die Küche integriert und der Familien-Essplatz. Seit 1995 stand das Gebäude schließlich leer und bot einen beklagenswerten Zustand. 2009 „zogen“ Hausbesetzer „ein“, die sich AK Freiraum Dresden nannten. Sie hinterließen nicht nur Glassplitter und Chaos, sondern auch Beschriftungen. In Schmidts Wohnzimmer steht immer noch „Anti Knigge“ an der Wand – als ein Zeitzeugnis in der Geschichte ihres Hauses, das auch unter neuem Anstrich bewahrt werden soll. Die Vergangenheit seiner Immobilie hat James Schmidt gründlich recherchiert und beim Bau akribisch bewahrt. Er freut sich über jeden Putz- und Farbrest aus der Entstehungszeit und vor allem darüber, dass die komplette Rekonstruktion der Fassaden möglich ist. Bis zu zehnmal waren die Wände überstrichen, berichtet er. „Ein Wunder, dass die Urfassung noch erhalten ist.“ Für ihn ist diese Spurensuche äußerst spannend. In einer bebilderten Baudokumentation hat er jedes Detail von der Gründung bis zum Dach festgehalten. Eine geniale Lösung sind die Fenster: außen rekonstruiert oder den 160 Jahre alten Originalen nachgebaut, innen ohne Eingriff in die Substanz Isolierglasfenster. Das Bauen aber ist nur die eine Seite des Lebens im Schmidt-Haus. Darin eingefügt verläuft die Auktionstätigkeit. Auch ein Hammerzuschlag – James Schmidt schwingt das Utensil souverän – kann eine sehr spannende Geschichte sein. So geschehen in diesem Frühjahr. Da hatte ein mit 7000 Euro aufgerufenes Aquarell des schwedischen Künstlers Gösta Adrian-Nilsson erst bei 240 000 Euro seinen Käufer gefunden. Ein Rekordzuschlag und bisheriger Höhepunkt im Geschäft. Bieter kommen heute dank Internet aus ganz Europa und darüber hinaus. Etwa ein Drittel sind regionale Kunden. Für die Kunsthistorikerin Annekathrin Schmidt sind die vierteljährlichen Auktionen eine große Herausforderung. Hat sie doch auch mit fünf festangestellten und drei freiberuflichen Mitarbeitern unter anderem enorm viel Rechercheaufwand für die kunstwissenschaftlichen Texte zu leisten. Regelmäßig sind etwa 900 Kataloge zu verschicken, 4000 Flyer zu verteilen, 7000 E-Mails zu versenden, ist in Fachzeitschriften zu werben. Annekathrin Schmidt: Geboren 12. September 1977 in Dresden Abitur in Pirna 1996-2001 Studium der Kunstgeschichte an der TU Dresden Mit ihrem künftigen Mann ein halbes Jahr „Work in Holiday“ in Australien Arbeit im Dresdner Kunsthandel 2004 Gründung ihres Kunstauktionshauses Bautzner Straße 6 2015 Eröffnung Bautzner Straße 99 James Schmidt: Geboren 22. Februar 1976 in Pirna 1996-2000 Architekturstudium an der TU Dresden das Paar hat fünf Kinder Das alles gehört zum Alltag, in den die Kinder integriert sind. „Sie wissen, dass sie in den Geschäftsräumen nicht rennen und was sie nicht anfassen dürfen“, erzählt die Mutter. Ein bisschen ist das Erdgeschoss das verlängerte Wohnzimmer. Hier befindet sich die umfangreiche Bibliothek, hier hält man sich die längste Zeit auf. Mitten in große Geschäftigkeit platzten auch wir für unser Vorgespräch. Kataloge wurden angeliefert, der Aufbau für die Auktion lief. Während des eigentlichen Interviews dann kamen die Kunden zur Vorbesichtigung. Eine strikte Trennung der Lebensbereiche findet eigentlich nur am Wochenende statt und nur für Annekathrin Schmidt. Dann will sie ihre Zeit ganz den Kindern widmen, die im Übrigen sehr selbständig seien, wie sie findet. Die Großen besuchen nach dem Unterricht die Musikschule, was an den Instrumenten im Wohnzimmer unschwer zu erkennen ist. Im Schlafraum der Kinder kribbelt und flattert es, aber nur ideell, denn Käfer und Schmetterlinge lassen sich im Glaskasten bestaunen. An der Wand hängen Plakate von Horst Naumann, die einst für den Dresdner Zoo warben. Sie befinden sich aus gutem Grund hier. War doch Annekathrin Schmidts Großvater Zootierarzt mit eigener Kleintierpraxis. Da liegt es auch nahe, dass sich drei Haustiere hier wohlfühlen. Die Kater mit dem seidenweichen Fell besitzen einen echten Kratzbaum, der im Wohnraum der Familie vom Boden bis zur Decke reicht. Und tierisch geht es weiter auf die Frage, welches Bild an den Wänden vielleicht das liebste sei? James Schmidt deutet auf Grafiken des Dresdner Künstlers Martin Erich Philipp. Sie zeigen Köpfe und Hälse zweier Strauße. Eine ungewöhnliche, originelle Sicht. Aber gerade die liebe er. Vielleicht sieht auch der Weihnachtsbaum der Familie anders als bei anderen aus? Er stand schon lange im Garten bereit. Am Vormittag des Heiligen Abends wird er gemeinsam mit den Kindern geschmückt. Auf jeden Fall soll er schön bunt werden und echte Kerzen tragen. Nach den Feiertagen - für den Jahreswechsel ist ein Fest bei Freunden mit weiteren Kindern geplant – wird das Haus mit all seinen Facetten wieder eine Hauptrolle übernehmen. Irgendwann soll ja auch das zweite Obergeschoss, wo man derzeit noch ins Dachgebälk schaut, Wohnzwecken dienen. Von Genia Bleier

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